Leitsatz (amtlich)
1. Zwar gilt an sich der Grundsatz, dass innerhalb der geschlossenen Ortschaften neben den Wegen mit nicht unbedeutendem Verkehr nur die belebten, über die Fahrbahn führenden unentbehrlichen Fußgängerüberwege gestreut werden müssen. Soweit es aber um die Sicherung von Örtlichkeiten geht, an denen regelmäßig oder zu bestimmten Zeiten starker Fußgängerverkehr herrscht, kann den Pflichtigen eine noch gesteigerte Sicherungspflicht treffen. Das gilt auch für unmittelbar an Schulen grenzende Fußwege sowie die zugänglichen und tatsächlich genutzten Verbindungsflächen zwischen einem Schulgelände und angrenzenden Wegen.
2. Anerkanntermaßen darf zwar etwa bei fortdauerndem eisbildendem Regen ausnahmsweise das (erneute!) Streuen unterbleiben, wenn es bei Einsatz aller vernünftigerweise in Betracht kommenden Mittel wirkungslos wäre. Das bedeutet aber gerade nicht, dass der Pflichtige bei außergewöhnlichen Wetterverhältnissen regelmäßig von der Streupflicht befreit sein würde. Vielmehr erfordern gerade solche Verhältnisse besonders intensive Streumaßnahmen. Es genügt insoweit, dass das Streugut die Gefahr des Ausgleitens wenigstens vermindert. Dem Verkehrssicherungspflichtigen hilft nur noch der von ihm zu erbringende Nachweis der Zwecklosigkeit.
3. Die bloße Behauptung des Streupflichtigen, es seien nicht mehr genügend Streumittel vorhanden gewesen, ist ungenügend. Eine verkehrssicherungspflichtige Kommune muss vortragen, was noch in welcher Menge vorhanden war, welche Bevorratungsmaßnahmen nach welchen Kriterien getroffen worden waren, und warum dessen ungeachtet - im konkreten Fall bereits Anfang Februar - es an ausreichendem Streugut gerade für die in Rede stehende Örtlichkeit gefehlt haben soll.
4. Soweit die Auffassung vertreten wird, dass bei einem Sturz auf erkennbar nicht geräumtem bzw. gestreutem Untergrund prima facie von mangelnder Aufmerksamkeit auszugehen ist, trifft dies wegen fehlender Typizität nicht zu. Es besteht kein allgemeiner Grundsatz dahingehend, dass bei Stürzen infolge von Glatteis stets ein Mitverschulden des Fußgängers anzusetzen ist (vorliegend: 1/3 Mitverschulden wegen Nutzung eines erkennbar vereisten Nebeneingangs, der nicht genutzt werden musste).
Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 25.02.2016; Aktenzeichen III ZR 219/15) |
LG Hildesheim (Urteil vom 22.10.2014; Aktenzeichen 5 O 111/14) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 22.10.2014 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des LG Hildesheim unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 18.308,01 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8.8.2014 zu zahlen.
b) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, zu 2/3 sämtliche weiteren auf die Klägerin gem. § 52 NBG übergegangenen Schadensersatzansprüche aus dem Schadensereignis vom 5.2.2010, bei dem die Bedienstete der Klägerin, Frau S. L., erheblich verletzt wurde, zu erstatten.
Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 1/3 und die Beklagte 2/3 zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten wird gestattet, die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 20 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe eines die vollstreckbare Forderung um 20 % übersteigenden Betrages abzuwenden, soweit nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Aus übergegangenem Recht macht das klagende Land (Klägerin) Schadensersatzansprüche wegen behaupteter Verkehrssicherungspflichtverletzung geltend.
Die 1952 geborene Frau S. L., Lehrerin an der Grundschule S., verließ am 5.2.2010 gegen 15:50 Uhr den Schulhof durch ein verschließbares Tor und stürzte dabei infolge Schnee- und Eisglätte (s. Lichtbild Anlage K 1, gesondert geheftet).
Frau L. erlitt durch den Sturz eine distale Radius-Extensionsfraktur, die operativ versorgt wurde. Die Landesschulbehörde hat das Unfallereignis als Dienstunfall anerkannt.
Der Klägerin entstanden für die Fortzahlung der Dienstbezüge während der Arbeitsunfähigkeit und für die Heilbehandlung Kosten in Höhe von 10.063,57 EUR und 17.398,44 EUR. Die Summe entspricht dem Zahlungsantrag.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei ihr insoweit zum Schadensersatz verpflichtet. § 46 BeamtVG schließe den Regressanspruch gegenüber der Beklagten nicht aus.
Demgegenüber hat die Beklagte die Auffassung vertreten, Frau L. habe sich die Verletzungen während der Teilnahme am allgemeinen Verkehr zugezogen. Verkehrssicherungspflichten seien auch nicht verletzt worden, weil der von ...