Leitsatz (amtlich)

Bei zwischenzeitlicher (Wohn-)Sitzverlagerung des Beklagten ist eine Verweisung willkürlich und deshalb ohne Bindungswirkung, wenn das Streitgericht dabei keinerlei Überlegungen zu seiner tatsächlich sowohl gem. § 29 Abs. 1 ZPO begründeten als auch im Zeitpunkt des Eingangs der ordnungsgemäß abgegebenen Mahnakten nach §§ 13, 17 Abs. 1 ZPO eröffneten und fortbestehenden (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO) Zuständigkeit angestellt hat.

 

Verfahrensgang

AG Berlin-Charlottenburg (Aktenzeichen 220 C 250/09)

 

Tenor

Zuständig ist das AG Hohenstein-Ernstthal.

 

Gründe

I. Der Kläger begehrt von der Beklagten, die bei Vertrags-schluss und -durchführung Ende 2008 in M im Amtsgerichtsbezirk Hohenstein-Ernstthal geschäftsansässig war und am 15.1.2009 in das Handelsregister des zuständigen AG Chemnitz eingetragen wurde, die Zahlung von Fracht i.H.v. 880,60 EUR für einen Warentransport von Hamburg nach Ulm. Nach Erlass eines entsprechenden Mahnbescheides und Gesamtwiderspruch der Beklagten, den diese durch ihren damals eingetragenen Geschäftsführer noch von ihrer Anschrift in M aus erhob, teilte das Mahngericht dem Kläger unter dem 9.3.2009 den Widerspruch mit und forderte die Kosten für die Durchführung des streitigen Verfahrens an. Nach Eingang der Zahlungsanzeige am 9.4.2009 gab es das Verfahren am selben Tag an das im Mahnbescheidsantrag benannte AG Hohenstein-Ernstthal ab. Hier gingen die Akten am 20.4.2009 ein. Die nach Aufforderung zur Anspruchsbegründung am 14.5.2009 eingereichte "Klage" konnte der Beklagten in M nicht zugestellt werden, weil diese im Zuge diverser Änderungen der Gesellschaftsverhältnisse ihren Sitz nach Berlin-Charlottenburg verlegt hatte; die am 9.3.2009 beschlossenen Änderungen waren am 4.5.2009 in das Handelsregister des AG Charlottenburg eingetragen worden. Der Kläger beantragte im Hinblick hierauf von sich aus die Verweisung an das AG Charlottenburg.

Ohne vorherige Anhörung der Beklagten hat sich das AG Hohenstein-Ernstthal mit der Begründung, die Beklagte habe ihren Sitz zwischenzeitlich nach Berlin verlegt, für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das AG Charlottenburg verwiesen. Dieses hat sich nach eingehender Anhörung der Parteien seinerseits für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit dem OLG Dresden zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.1. Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung durch den Senat liegen vor.

Das OLG Dresden ist für den negativen Zuständigkeitskonflikt gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zuständig, weil das zuerst mit der Sache befasste AG Hohenstein-Ernstthal zu seinem Bezirk gehört. Die beiden beteiligten AG haben sich auch "rechtskräftig" für unzuständig erklärt, § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Das ist für die erste Unzuständigerklärung nicht deshalb zu verneinen, weil das verweisende Gericht die Beklagte zuvor nicht angehört hatte und ihr auch seinen Beschluss, anders als dem Kläger, infolge entsprechender Verfügung des Richters nicht übermittelt hat. Der erstgenannte Mangel (fehlende Anhörung) beseitigt allenfalls die Bindungswirkung der Verweisung. Der zweite Fehler (unterbliebene Übermittlung des Beschlusses an die Beklagte) ist einer bloß internen, den Parteien nicht bekannt gemachten gerichtlichen Verfügung, die als rechtskräftige Unzuständigerklärung von vornherein ausscheidet (BGH FamRZ 1979, 790 und 1988, 1256), nicht gleichzustellen. Das verweisende Gericht hat seine Unzuständigkeit durch Beschluss ausgesprochen, der aufgrund willentlicher Hinausgabe in den Geschäftsgang und Übermittlung an die Prozessbevollmächtigte des Klägers existent und wirksam geworden ist, § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Überdies hat das AG Charlottenburg der Beklagten den Inhalt der

Entscheidung im Nachgang mitgeteilt. Die Rechtskraft der Unzuständigerklärung des vorlegenden Gerichts wiederum wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass vor seiner eigenen Beschlussfassung die der Beklagten zur beabsichtigten Entscheidung gesetzte Stellungnahmefrist noch nicht vollständig abgelaufen war.

2. Als zuständig ist das AG Hohenstein-Ernstthal zu bestimmen.

a) Dieses ist für den Rechtsstreit entgegen seiner Ansicht örtlich (und sachlich) zuständig.

aa) Das folgt zum einen, wie das vorlegende Gericht zutreffend dargelegt hat, aus § 29 Abs. 1 ZPO.

Unbeschadet des zusätzlichen Gerichtsstandes, den ein Frachtführer für eine Zahlungsklage ggf. aus § 440 Abs. 1 HGB herleiten kann, ist es ihm stets unbenommen, diese Klage im Besonderen Gerichtsstand des Erfüllungsortes zu erheben. Dabei handelt es sich gem. § 29 Abs. 1 ZPO um den Ort, an dem die streitige Zahlungsverpflichtung zu erfüllen ist. Das ist hier mangels entgegenstehender Anhaltspunkte oder Vereinbarungen der Parteien gem. § 269 Abs. 1, Abs. 2 BGB der Ort, an dem die Beklagte zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses im Dezember 2008 ihren Sitz hatte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich ihr Sitz - ungeachtet der damals noch gänzlich fehlenden Eintragung der GmbH in das Handelsregister - in M im Bezirk des verweisen...

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