Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 957/14) |
Tenor
1. Auf übereinstimmenden Antrag der Parteien wird das Nachverfahren fortgesetzt.
2. Den Beklagten wird aufgegeben, binnen 3 Wochen ab Zugang dieses Beschlusses mitzuteilen, ob sie nach Vorlage der Kopie des von beiden Parteien unterzeichneten Vertrages vom 03.09.2010 (Anlage BK 37) daran festhalten, dass eine Unterzeichnung nicht erfolgt sei.
3. Die Wirksamkeit der dort vereinbarten Pauschalen für Tragwerks- und Haustechnikplanung würde jedoch an § 7 Abs. 1 HOAI scheitern. Nach nochmaliger eingehender Prüfung der Rechtslage unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung kommt der Senat zu der Auffassung, dass die Vorschriften der HOAI zur Ermittlung des Architektenhonorars auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 04.07.2019 - C-377/17 - weiterhin anzuwenden sind und daher die Vereinbarung eines unter den Mindestsätzen liegenden Pauschalhonorars unwirksam ist.
3.1. Zwar hat der Europäische Gerichtshof im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens zwischen der Europäischen Kommission und der Bundesrepublik Deutschland entschieden, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über die Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen habe, indem sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat. Zwar seien die ersten beiden Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 3 der Richtlinie erfüllt, dass die nationalen Regelungen keine direkte oder indirekte Diskriminierung zur Folge haben dürfen, Art. 15 Abs. 3a der Dienstleistungsrichtlinie, und sie durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein müssen, Art. 15 Abs. 3b der Dienstleistungsrichtlinie (EuGH a.a.O. Rn. 68 ff.). Die Ziele der Mindestpreisvorschriften, die Qualität der Planungsleistungen, des Verbraucherschutzes, der Bausicherheit, der Baukultur und des ökologischen Bauens sicherzustellen, seien als zwingende Gründe des Allgemeininteresses anerkannt (EuGH a.a.O.). Jedoch seien die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 3c der Dienstleistungsrichtlinie nicht erfüllt. Der Bundesrepublik Deutschland sei der Nachweis nicht gelungen, dass die in der HOAI vorgesehenen Mindestsätze geeignet seien, die Erreichung des Ziels einer hohen Qualität der Planungsleistungen zu gewährleisten und den Verbraucherschutz sicherzustellen, da in Deutschland Planungsleistungen auch von Dienstleistern erbracht werden können, die nicht ihre entsprechende fachliche Eignung nachgewiesen haben. Dies lasse eine Inkohärenz der deutschen Regelung erkennen (EuGH a.a.O. Rn. 92 ff.).
3.2. Die Frage, ob diese Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dazu führt, dass die Mindestsatzvorschriften der HOAI durch deutsche Gerichte nicht mehr angewendet werden dürfen, ist jedoch heftig umstritten.
3.2.1. Nach einer Auffassung führt der Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts dazu, dass die Mindestsatzregelungen der HOAI nicht mehr anwendbar sind (OLG Celle, Urteil vom 14.08.2019 - 14 U 198/18; OLG Celle, Urteil vom 17.07.2019 - 14 U 188/18; KG Berlin, Urteil vom 13.09.2019 - 7 U 87/18; Orlowski "Besiegelt der EuGH das Ende der HOAI?", NJW 2019, 2505 ff.; Fuchs/van de Hout/Opitz "HOAI-Urteil des EuGH: Vertrags- und Vergaberechtlichen Konsequenzen", NZ-Bau 2019, 483 ff.; Steeger/Fahrenbruch, Praxiskommentar HOAI, Stand 15.07.2019, § 7 Rn. 2/1 ff., ibr-online).
3.2.2. Nach der Gegenfassung sind die Vorschriften weiterhin anzuwenden, da der Europäische Gerichtshof lediglich in einem Feststellungsverfahren gegenüber der Bundesrepublik den Europarechtsverstoß festgestellt, die Normen jedoch nicht für unwirksam erklärt habe (OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2019 - 21 U 24/18; KG Berlin, Beschluss vom 19.08.2019 - 21 U 20/19; OLG München, Beschluss vom 08.10.2019 - 20 U 94/19).
3.2.3. Der Senat schließt sich der letztgenannten Auffassung an.
Aus der Entscheidung des EuGH ergibt sich nicht, dass er die Vorschriften der HOAI im Verhältnis zwischen Privaten für unanwendbar erklären wollte. Eine solche Verwerfungskompetenz steht ihm in den Vertragsverletzungsverfahren zwischen Kommission und einem Mitgliedstaat auch nicht zu. Es handelt sich lediglich um ein Feststellungsverfahren. Nach Art. 260 Abs. 1 AEUV ist es die Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Europarechtswidrigkeit zu beseitigen. Da der Europäische Gerichtshof die Europarechtswidrigkeit insbesondere darauf gestützt hat, dass die HOAI nicht nur für Architekten und Ingenieure Geltung entfaltet und deshalb der - grundsätzlich legitime - Zweck der Qualitätssicherung der Bauwerke und des Verbraucherschutzes nicht gewährleistet werden könne, muss eine entsprechende Anpassung der HOAI an die Richtlinie jedoch nicht bedeuten, dass die Mindest- und Höchstsätze vollständig abgeschafft werden.
Bis zu dieser Anpassun...