Leitsatz (amtlich)

Zum Rechtsüberholen eines sich gemäß § 5 VII 1 StVO links, aber verkehrswidrig einordnenden Kraftfahrzeug sowie zur Begründung einer unklaren Verkehrslage.

 

Verfahrensgang

LG Dresden (Aktenzeichen 9 O 620/20)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten 1) bis 3) gegen das Teilend- und Teilgrundurteil des Landgerichts Dresden vom 29.04.2022 - 9 O 620/20 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagten 1) bis 3) tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten 1) bis 3) können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor Beginn der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten um Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall, der sich am 19.09.2018 gegen 11.00 Uhr in D... im Kreuzungsbereich der G...straße und der D...straße ereignete.

Auf der vorfahrtsberechtigten G...straße verlaufen mittig jeweils Straßenbahnschienen, die auch durch den Kraftfahrzeugverkehr befahren werden. Die Beklagte 1) fuhr mit dem PKW Opel Insigna (amtliches Kennzeichen xx-x 0000), dessen Halterin die Beklagte 2) ist und der bei der Beklagten 3) haftpflichtversichert ist, auf der G...straße vom S... Platz kommend in Richtung S...platz. Sie beabsichtigte, an der Kreuzung D...straße nach links abzubiegen und ordnete sich daher in die vorgesehene Linksabbiegespur ein. Auf der Gegenfahrbahn fuhr vom S...platz kommend in Richtung S... Platz ein grüner Mercedes Sprinter (Kastenwagen) und hinter diesem der Kläger mit seinem Motorrad Harley Davidson (amtliches Kennzeichen xx-xx 00). Obwohl in dieser Fahrtrichtung im Bereich der D...straße ein Linksabbiegen untersagt ist (Zeichen 214), ordnete sich der vorausfahrende Mercedes Sprinter links auf den Schienen zum Zwecke des Linksabbiegens ein und beeinträchtigte damit zugleich das Sichtfeld der Beklagten 1) auf den Gegenverkehr. Der Kläger fuhr rechts an dem sich links einordnenden Mercedes Sprinter vorbei und kollidierte mit dem sich gerade im Linksabbiegevorgang befindlichen PKW Opel. Beide Fahrzeuge wurden infolge des Aufpralls erheblich beschädigt. Der Kläger geriet mit dem Motorrad zu Sturz und erlitt schwere Verletzungen, die mehrere Operationen zur Folge hatten. Mit der Behauptung, die Beklagte 1) habe ihre Sorgfaltspflichten beim Linksabbiegen verletzt, begehrte der Kläger zuletzt Schadenersatz in Höhe von 163.848,41 Euro, wobei der Betrag eine Schmerzensgeldforderung im Umfang von zumindest 75.000,00 Euro umfasst, sowie die Feststellung, dass die Beklagten zum Ersatz sämtlicher weiterer materieller und immaterieller Schäden verpflichtet seien. Hinsichtlich der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils sowie die von den Parteien erstinstanzlich gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Mit der angegriffenen Entscheidung vom 29.04.2022 hat das Landgericht ein Teilend- und Teilgrundurteil erlassen. Es hat die bezifferte Schadensersatzklage, einschließlich des Klageantrags 2) zu den vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten und des Schmerzensgelds, für dem Grunde nach gerechtfertigt erklärt. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche weiteren materiellen Schäden aus dem Verkehrsunfall ungekürzt zu ersetzen. Im Hinblick auf weitere immaterielle Schäden hat es das Feststellungsbegehren abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dem Kläger stehe gemäß § 7 Abs. 1, § 18 Abs. 1 StVG, § 823 Abs. 1 BGB, § 11 Abs. 2 StVG, § 253 Abs. 2 BGB und § 115 Abs. 1 VVG ein unter dem Gesichtspunkt der Mithaftung ungekürzter Schadenersatzanspruch sowie ein ohne Berücksichtigung eines Mitverschuldens zu bemessender Schmerzensgeldanspruch zu. Im Ergebnis der Beweisaufnahme stehe dem der Beklagten 1) vorwerfbaren Verstoß gegen § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO, d.h. der Missachtung des Vorrangs des Geradeausverkehrs, kein in gleicher Weise für die Kollision ursächlicher Verkehrsverstoß des Klägers gegenüber. Ein unfallursächliches Mitverschulden des Klägers wegen verbotswidrigen Überholens komme nicht in Betracht. Ebenso wenig sei nach der Beweisaufnahme ein klägerseitiger Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO anzunehmen. Da sich der Einwand der Beklagten, wonach der Kläger bereits dem Grunde nach keinen Ersatzanspruch habe, als unberechtigt erweise, sei auch die Feststellung auszusprechen, dass ihm sämtliche weiteren materiellen Schäden zu ersetzen seien. Soweit das Schmerzensgeld alle Folgen erfasse, die bereits eingetreten oder objektiv erkennbar seien, komme hingegen ein Feststellungsausspruch zu weiteren immateriellen Schäden nicht in Betracht. Eine Verurteilung der Beklagten hinsichtlich einzelner Schadenersatzpositionen unter gleichzeitiger Beschränkung des Grundurteils sei a...

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