Leitsatz (amtlich)

1. Wird von einem Netzbetreiber die Verbändevereinbarung II praktiziert, so ist dieser Umstand wesentlich für die Reichweite des Anspruchs auf Netzzugang nach § 6 Abs. 1 EnWG.

2. Ohne sachlich gerechtfertigte Gründe darf ein solcher Netzbetreiber einen Durchleitungspetenten nicht auf eine Durchleitung nach der Verbändevereinbarung I verweisen.

3. Die Forderung nach dem Abschluss von Netznutzungsverträgen zwischen Netzbetreiber und Endkunden des Durchleitungspetenten verstösst gegen das Diskriminierungsverbot.

4. Ein Verfügungsgrund entfällt nicht deshalb, weil die Versorgung der Endkunden über eine sog. Beistellung erfolgt.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 2 HKO 3151/01)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Leipzig, 2. Kammer für Handelssachen, vom 8.6. 2001 (Az.: 02 HKO 3151/01) abgeändert.

Der Beklagten wird im Wege der einstweiligen Verfügung geboten, der Klägerin die Durchleitung elektrischer Energie vom Einspeiseknoten der Beklagten von dem vorge-lagerten Verteilnetz bis zu den aus der Anlage AS 1 ersichtlichen Abnahmestellen auf der Basis von der Klägerin aufgegebener Arbeitswerte (kWh) und entsprechend be-rechneter Fahrpläne zu gestatten, indem die Beklagte die aus der Anlage AS 1 ermittelbare Leistung und Arbeit von ihrem eigenen Bedarf abgrenzt und indem sie diese Menge auf Rechnung der Klägerin beim vorgelagerten Netzbetreiber (E-AG) abruft und diesen wiederum (auf der Grundlage der mit diesem praktizierten Verbändeverein-barung II) veranlasst, die Energie bei der V-AG abzurufen.

Der Beklagten wird für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die vorgenannten Verpflichtungen ein Ordnungsgeld bis zu 500.000 DM, ersatzweise Ordnungshaft, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu vollstrecken jeweils an den Geschäftsführern der Beklagten, angedroht.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer der Beklagten wird auf 100.000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit welcher der Beklagten geboten werden soll, die Durchleitung elektrischer Energie durch deren Netz zu gestatten.

Die Klägerin ist ein Energieversorgungsunternehmen, das über die Genehmigung zur Versorgung mit elektrischer Energie nach § 3 EnWG verfügt.

Die Beklagte ist Betreiberin des Versorgungsnetzes in Pirna und tritt dort auch als Lieferant von elektrischer Energie auf. Ihr Marktanteil bei Haushaltskunden in diesem Netz beträgt rund 98 %.

Nachdem die Klägerin mit Kunden im Bereich des von der Beklagten betriebenen Versorgungsnetzes Verträge über die Lieferung elektrischer Energie geschlossen hatte, wandte sie sich an die Beklagte, um mit dieser einen Netznutzungsvertrag zu schliessen.

Der Abschluss eines Vertrages über die Modalitäten der Durchleitung scheitertete daran, dass die Beklagte auf der Grundlage der Verbändevereinbarung II den Abschluss von Netznutzungsverträgen mit den einzelnen Kunden forderte. Wegen der Einzelheiten des geführten Schriftverkehrs wird auf den Inhalt der Schreiben vom 21.3.2001 (Anlage AS 2 = Bl. 15 f. d. A.) und vom 22.3. 2001 (Anlage AS 3 = Bl. 17 f. d.A.) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 4.4.2001 (Anlage AS 4 = Bl. 19 f. d. A.) wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass eine Durchleitung nur in vollständiger Umsetzung der Verbändevereinbarung II oder aber auf der Grundlage von § 6 EnWG in Betracht komme. Eine Kombination der jeweils günstigsten Teile aus beiden Varianten sei rechtlich nicht durchsetzbar.

Die Klägerin hat den Standpunkt eingenommen, dass die Forderung der Beklagten nach Abschluss von Netznutzungsverträgen mit den Kunden kartellrechtswidrig sei. Zum anderen verstießen derartige Verträge auch gegen das AGBG. Die Beklagte habe ihr vielmehr die Netznutzung zu den Bedingungen der Verbändevereinbarung II zu gestatten, ohne jedoch auf dem Abschluss von Netznutzungsverträgen mit den Kunden bestehen zu können. Der Durchleitungsanspruch nach § 6 EnWG habe sich wegen des Gebots der Diskriminierungsfreiheit auf einen solchen nach den Prinzipien der Verbände-vereinbarung II verdichtet. Die Verbändevereinbarung II habe sich in der Praxis etabliert, wobei die für die praktikable Versorgung im Massengeschäft nicht geeignete Einzeltransaktion der Durchleitung nach dem „Röhrenprinzip” (Verbändevereinbarung I) branchenüblich durch ein „Seeprinzip” ersetzt worden sei, bei dem lediglich das Gesamtgleichgewicht durch die Abstimmung von Ein- und Ausspeisungen gehalten werde. Mit der Verbändevereinbarung II sei insbesondere für den Netznutzer die Möglichkeit verbunden, Bilanzkreise zu bilden und damit die aus der fehlenden Planbarkeit des Verbraucherverhaltens bedingten Abweichungen zwischen Ein- und Ausspeisungen auf ein finanziell erträgliches Maß zu saldieren. Ferner biete dies den Vorteil, dass der Netzbetreiber mit seinen Durchleitungsentgelten die übergewälzten Entgelte der vorgelagerten Ebenen abrechne ...

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