Leitsatz (amtlich)
1. Erledigt sich das Abschiebungshaftverfahren nach Einlegung der Erstbeschwerde in der Hauptsache und beschränkt der Betroffene sein Rechtsmittel deshalb auf die Kostenfrage, so ist über die gesamten Verfahrenskosten zu entscheiden.
2. Ordnet der Haftrichter - bei im Übrigen vorliegenden Voraussetzungen des § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG - ohne sein Ermessen auszuüben Abschiebungshaft an und bestätigt das LG dies (zu Unrecht) bei seiner im Erstbeschwerdeverfahren nach Erledigung getroffenen Kostenentscheidung, so hat der Betroffene die Gerichtskosten der Vorinstanzen nicht zu tragen.
3. Eine unterbliebene Ermessensausübung im vorgenannten Sinne kann nach Erledigung der Hauptsache nach Übergang in das Kostenverfahren nicht mehr nachgeholt werden.
4. Die dem Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten sind der Gebietskörperschaft, der die Ausländerbehörde angehört, aufzuerlegen, wenn diese bei ihrer Entschließung, Haftantrag zu stellen, objektivierte Überlegungen, ob eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass ohne eine Inhaftierung die Abschiebung des Betroffenen vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, nicht angestellt hat.
Normenkette
AufenthG § 62 Abs. 2 S. 2; FreihEntzG § 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, Abs. 3, § 15
Verfahrensgang
LG Düsseldorf (Beschluss vom 08.11.2006; Aktenzeichen 18 T 56/06) |
AG Neuss (Aktenzeichen 16 XIV 63/06) |
Tenor
Der angefochten Beschluss des LG wird geändert.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden der Stadt M. auferlegt.
Gründe
I.
Der Betroffene ist türkischer Staatsangehöriger. Er reiste nach seiner Eheschließung am 4.10.2001 in der Türkei mit einer deutschen Staatsangehörigen zur Familienzusammenführung in die Bundesrepublik ein. Das Visum wurde am 6.2.2002 von der deutschen Botschaft in Ankara für drei Monate ausgestellt. Die Aufenthaltserlaubnis wurde dem Antragsgegner am 4.4.2002 zunächst bis zum 3.4.2003 erteilt. Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis war die unterstellte eheliche Lebensgemeinschaft mit seiner deutschen Ehefrau. Da die eheliche Lebensgemeinschaft nur ein Jahr und zehn Monate bestand, wurde mit Ordnungsverfügung vom 11.5.2006 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt und der Betroffene unter Abschiebungsandrohung aufgefordert, das Bundesgebiet binnen sechs Wochen zu verlassen. Der Betroffene reiste nicht aus, legte Widerspruch gegen den Bescheid ein und stellte beim VG einen Antrag, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen.
Das VG lehnte den Antrag am 28.6.2006 ab; die Verwaltungsbehörde wies den Widerspruch zurück.
Gegen die Entscheidung des VG legte der Betroffene ein Rechtsmittel ein, das mit Beschl. v. 11.9.2006 als unzulässig verworfen wurde.
Mit Schreiben vom 13.9.2006 forderte die Antragstellerin den Betroffenen auf, zur Klärung der Ausreise am 18.9.2006 vorzusprechen. Dort wurde ihm die freiwillige Ausreise nahe gelegt. Der Betroffene erklärte ausdrücklich, nicht ausreisen zu wollen. Bei einer erneuten Vorsprache am 26.9.2006 blieb der Betroffene bei seiner Haltung, das Bundesgebiet nicht verlassen zu wollen.
Er wurde gegen 12 Uhr vorläufig festgenommen und dem Polizeigewahrsam zugeführt, weil vom AG Neuss an diesem Tag ein Haftvorführungstermin nicht mehr organisiert werden konnte.
Der Rückführungsflug war für den 9.10.2006 vorgesehen.
Auf das Gesuch der Antragstellerin hat das AG am 27.9.2006 nach Anhörung des Betroffenen gem. § 62 Abs. 2 Satz 2 AufenthG Sicherungshaft für längstens 2 Wochen mit sofortiger Wirksamkeit angeordnet, weil die Ausreisefrist abgelaufen sei, durch die wiederholten Äußerungen des Betroffenen, nicht freiwillig auszureisen, der Verdacht bestehe, dass der Betroffene, weil er nunmehr auch den Abschiebetermin kenne, sich dieser Abschiebung durch Untertauchen entziehen werde.
Hiergegen hat der Betroffene sofortige Beschwerde eingelegt.
Unter dem 4.10.2006 hat der Betroffene unter Hinweis auf eine eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau beantragt, ihm eine Aufenthaltserlaubnis zur Familienzusammenführung für ein Jahr zu erteilen.
Das OVG NW (18 B 2188/06) hat am 6.10.2006 angeordnet, dass bis zur endgültigen Entscheidung dieses Gerichts im Verfahren wegen Abschiebungsschutzes Abschiebungsmaßnahmen gegen den Betroffenen nicht durchzuführen seien.
Darauf wurde die Rückführung des Betroffenen am 9.10.2006 etwa zwei Stunden vor dem geplanten Flug storniert und der Betroffene aus der Haft entlassen.
Der Betroffene hat beantragt,
die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.
Die Antragstellerin hat beantragt,
die Kosten des Verfahrens dem Betroffenen aufzuerlegen.
Das LG hat am 8.11.2006 die Kosten des Verfahrens dem Betroffenen auferlegt, da die angefochtene Haftanordnung der Sach- und Rechtslage entspreche (§ 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 S. 1, 15 Abs. 1 FreihEntzG). Der Betroffene sei vollziehbar ausreisepflichtig gewesen, habe sich geweigert, freiwillig auszureisen, und es habe der Verdacht bestanden, dass er sich dem ihm bekannten Abschiebetermin dur...