Auskunftspflicht von YouTube bei Beleidigung durch anonymen User
Mit einer jetzt veröffentlichten Entscheidung hat das OLG Karlsruhe eine Auskunftspflicht der Betreiberin der Plattform YouTube über die Identität des Urhebers eines beleidigenden YouTube-Posts bestätigt.
Antragstellerin auf YouTube als „dunkler Parasit“ bezeichnet
In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren hat eine Userin der Internetplattform YouTube von der Plattformbetreiberin Auskunft über die Identität eines anonymen Users gefordert. Die Antragstellerin und der anonyme User hatten sich auf YouTube über aktuelle Themen scharf auseinandergesetzt. In einer Stellungnahme bezeichnete der anonyme User die Antragstellerin unter anderem als „dunkler Parasit“.
YouTube verweigert Auskunft über Identität des Post-Urhebers
Da die Betreiberin der YouTube Plattform die geforderte Auskunft verweigerte, leitete die Antragstellerin ein Verfahren auf einstweiligen Rechtsschutz ein und erreichte beim zuständigen LG eine Verurteilung der Plattformbetreiberin zur Erteilung der Auskunft.
Verurteilung zur Auskunftserteilung war rechtens
Im Beschwerdeverfahren erklärte das OLG (das wegen einer zwischenzeitlich erklärten Erledigung in der Hauptsache nur noch über die Verfahrenskosten zu entscheiden hatte), die erstinstanzliche Entscheidung für gerechtfertigt. Das LG habe die Auskunft über die Identität des unbekannten Users zu Recht gemäß § 21 Abs. 2, Abs. 3 TTDSG für zulässig erklärt und die Plattformbetreiberin zur Auskunft verpflichtet. Die Bezeichnung der Antragstellerin als Parasit gehöre zu den in § 1 Abs. 3 NetzDG aufgeführten rechtswidrigen Inhalten, da die Bezeichnung unter die Beleidigungs- und Verleumdungsstraftatbestände der §§ 185-187 StGB falle (OLG Schleswig, Beschluss v. 23.3.2022, 9 Wx 23/21).
Auskunftsverlangen setzt keine Darlegung zivilrechtlicher Folgeansprüche voraus
Das OLG stellte klar, dass die Auffassung der Plattformbetreiberin unrichtig ist, sie sei zur Auskunft nur verpflichtet, wenn die Antragstellerin bereits im Ausgangsverfahren darlege, welche zivilrechtlichen Ansprüche sie mithilfe ihrer Auskunft geltend machen will. Eine strafbare Beleidigung begründe regelmäßig zivilrechtliche Ansprüche und bedürfe daher keiner weiteren Darlegung.
Rechtsverletzung muss nicht von besonderem Gewicht sein
Ebenso wenig muss die Antragstellerin nach Auffassung des OLG darlegen, dass es sich um eine Rechtsverletzung von besonderem Gewicht handle. Bei der Verletzung absoluter Rechte bestünden gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 TTDSG in Verbindung mit § 1 Abs. 3 NetzDG keine weiteren Voraussetzungen für den Auskunftsanspruch. Die Zuerkennung eines Entschädigungsanspruchs in Geld aufgrund einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts setzte zwar einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht voraus, neben diesem Anspruch kämen aber weitere zivilrechtliche Ansprüche- beispielsweise auf Unterlassung oder Widerruf - in Betracht, ohne dass es hierfür einer besonderen Schwere der Verletzungshandlung bedürfe.
Auskunftsanspruch setzt volle gerichtliche Überzeugung voraus
Das OLG korrigierte die Vorinstanz insoweit, als für die Durchsetzung des Auskunftsanspruchs nicht die bloße Glaubhaftmachung des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen genüge, vielmehr setze das Auskunftsverlangen gemäß § 21 TTDSG die volle gerichtliche Überzeugung vom Vorliegen der Verletzungshandlung voraus. Dies bedeute entsprechend § 37 FamFG einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausgeräumt. Diese Voraussetzungen waren nach Auffassung des OLG vorliegend erfüllt.
Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht
Darüber hinaus ist nach Auffassung des OLG im Fall einer Beleidigung grundsätzlich eine abwägende Gewichtung der möglichen Beeinträchtigungen der Meinungsfreiheit einerseits und der persönlichen Ehre andererseits erforderlich (BVerfG, Beschluss v. 19.12.2021, BvR 1073/20). Hierbei waren nach Auffassung des Senats einige der von der Antragstellerin beanstandeten Äußerungen im Rahmen der verbal heftig geführten Auseinandersetzungen zwischen der Antragstellerin und dem anonymen User möglicherweise als von der Meinungsfreiheit noch gedeckte zulässige Kritik einzustufen. Dies gilt nach der Bewertung des OLG allerdings nicht für die Bezeichnung „dunkler Parasit“. Dieser Begriff sei als ein dem Pflanzen- und Tierreich entstammendes negatives, die persönliche Würde verletzendes Werturteil eindeutig beleidigend.
Vermutung für Nichtkenntnis der Identität
Schließlich stellte das OLG klar, dass in Fällen anonym oder unter Verwendung eines Decknamens vorgebrachter Beleidigungen grundsätzlich eine Vermutung dafür besteht, dass der Beleidigte die Identität des Users nicht kennt. Für eine gegenteilige Einschätzung müsse die Plattformbetreiberin Umstände darlegen, die auf eine Kenntnis der Identität bei der Antragstellerin schließen lassen.
Auskunftsbegehren war gerechtfertigt
Der Senat kam zu dem Ergebnis, dass das Auskunftsbegehren gerechtfertigt war und die erstinstanzliche Entscheidung zu Recht ergangen ist. Das OLG hat daher nach den beiderseitigen Erledigungserklärungen die Kosten des Beschwerdeverfahrens allein der Plattformbetreiberin auferlegt.
(OLG Karlsruhe, Beschluss v. 6.9.2022, 14 W 61/22 Wx)
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