Leitsatz (amtlich)
1. Die Verpflichtung des Betreibers einer Social-Media-Plattform zur Auskunftserteilung gemäß § 21 Abs. 2, 3 TTDSG ist gerechtfertigt, wenn durch eine Äußerung eines anonymen Nutzers der Plattform ein absolutes Recht des Antragstellers durch die Erfüllung eines der in § 1 Abs. 3 NetzDG aufgeführten Straftatbestände rechtswidrig verletzt wird.
2. Es bedarf in diesem Fall weder einer besonderen Schwere der Rechtsverletzung noch der konkreten Darlegung, auf welche Weise zivilrechtliche Ansprüche des Antragstellers durchgesetzt werden sollen.
3. Wenn ein Nutzer sich auf einer Internetplattform anonym äußert und sich aus dem Inhalt seines Auftretens keine Hinweise auf seine Identität ergeben, begründet dies die Vermutung, dass die Auskunft über die Bestandsdaten des Nutzers im Sinne des § 21 Abs. 2 TTDSG zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche erforderlich ist.
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 1 O 68/22) |
Tenor
1. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.
2. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten haben im Beschwerdeverfahren übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben und beantragt, die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem jeweiligen Gegner aufzuerlegen. Die Beschwerde richtete sich gegen den Beschluss vom 17.06.2022, mit dem das Landgericht auf Antrag der Antragstellerin die Auskunftserteilung der weiteren Beteiligten über die bei ihr vorhandenen Bestandsdaten eines unbekannten Nutzers mit dem Benutzernamen "A" für zulässig erklärte und die weitere Beteiligte zur Auskunft über den Namen und die Adresse des Nutzers verpflichtete.
Die weitere Beteiligte betreibt die Plattform "YouTube". Sowohl die Antragstellerin als auch der unbekannte Nutzer äußern sich auf "YouTube" über Angelegenheiten, von denen sie annehmen, dass sie Internetnutzer, die die Internetplattform wegen bestimmter Themen aufsuchen, interessieren. Sowohl die Antragstellerin als auch der Nutzer veröffentlichten, teilweise unter Bezug auf den jeweiligen Gegner, kontroverse Stellungnahmen. Am 23.02.2022 veröffentlichte der Nutzer mit dem Nutzernamen "A" ein Video mit dem Titel ... TäterinB", in dem er sich über die Antragstellerin äußerte; aufgrund der Beschwerde der Antragstellerin ist das Video in Deutschland nicht mehr abrufbar. Mit dem Auskunftsersuchen gemäß § 21 Abs. 2 und 3 TTDSG vom 25.03.2022 macht die Antragstellerin geltend, mit verschiedenen Äußerungen, wegen deren Einzelheiten auf die Antragsschrift verwiesen wird, erfülle der Nutzer den Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB. Daneben sei der Tatbestand der üblen Nachrede (§ 186 StGB) erfüllt. Die vorzunehmende Abwägung führe unter Berücksichtigung aller Umstände dazu, dass die Meinungsäußerungsfreiheit des Nutzers gegenüber der persönlichen Ehre der Antragstellerin zurücktreten müsse. Eine Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) liege nicht vor.
Die weitere Beteiligte ist dem Antrag entgegengetreten. Sie legt dar, in dem beanstandeten Video berichte der Nutzer in emotionaler Weise von seiner Auseinandersetzung mit der Antragstellerin und warum diese in ihm eine Retraumatisierung seiner Erfahrungen sexueller Gewalt in seiner Kindheit bewirkt habe. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf den Schriftsatz vom 18.05.2022 verwiesen. Die weitere Beteiligte ist der Auffassung, unter Berücksichtigung des geschilderten Gesamtkontextes seien die Werturteile des Nutzers plausibel. Er empfinde die Antragstellerin als medial aggressiv auftretend, die unter dem Deckmantel einer scheinbar guten Absicht ihre Mitmenschen online terrorisiere und gezielt Unfrieden stifte. Die beanstandeten Äußerungen erschienen im Gesamtkontext auch für Außenstehende nachvollziehbar, weshalb eine zulässige Meinungsäußerung vorliege. Eine Schmähkritik liege nicht vor. Schließlich sei die Auskunft nicht erforderlich im Sinne von § 21 TTDSG, weil die Antragstellerin den Nutzer offenbar kenne. Dies ergebe sich daraus, dass der Nutzer geschrieben habe, die Antragstellerin habe ihn anwaltlich auf Unterlassung in Anspruch genommen.
Mit Schriftsatz vom 10.06.2022 hat die Antragstellerin das Auskunftsersuchen auf den tatsächlichen Namen und die angegebene Adresse des Nutzers beschränkt.
Wegen des weiteren Vortrags in erster Instanz wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Das Landgericht hat mit Beschluss vom 17.06.2022 die Auskunftserteilung der weiteren Beteiligten über den Namen und die Adresse des Benutzernamens "A" für zulässig erklärt und die weitere Beteiligte zur Auskunftserteilung verpflichtet. Zur Begründung führt das Landgericht aus, dass die Frage, ob der Antragstellerin Ansprüche aufgrund einer Persönlichkeitsverletzung zustünden, in dem Anordnungsverfahren nicht geklärt werde. In dem Anhörungsverfahren genüge das Beweismaß der Glaubhaftmachung, während bei der Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Nutzer der Strengbeweis erforderlich sei; außerdem werde der Nutzer sel...