Leitsatz (amtlich)
1. Die Mindestnennleistungsgrenze von ursprünglich 50 MW (jetzt 10 MW) des § 13 Abs. 1a Satz 1 EnWG bezieht sich nicht auf die addierte Nennwirkleistung aller an einem Netzknoten angeschlossener Anlagen eines Betreibers, sondern auf die jeweiligen Einzelanlagen (Erzeugungseinheit). Dies ergibt die Auslegung der Vorschrift nach Wortlaut, Gesetzesbegründung, Systematik und Sinn und Zweck.
2. Die Verpflichtung der Betreiber von Anlagen zur Speicherung von elektrischer Energie und von Anlagen zur Erzeugung von elektrischer Energie zur Anpassung der Wirkleistungseinspeisung umfasst nach § 13 Abs. 1a EnWG nicht den Wirkleistungsbezug durch Speicheranlagen.
3. Die Vorgabe einer Merit Order für die Durchführung von Redispatch-Maßnahmen ist von der Ermächtigungsbefugnis in § 13 Abs. 1a Satz 3 EnWG "Konkretisierung des Adressatenkreises" sowie "Methodik der Anforderung" gedeckt. Durch das Abstellen auf die netzstützende Wirkung sowie die Einbeziehung der Vergütung wird sowohl die für die Beseitigung des Engpasses oder der Spannungsgrenzwertverletzung erforderliche netzphysikalische Wirkung der Wirkleistungsanpassung berücksichtigt als auch die Kosteneffizienz der Maßnahme. Prognoseunsicherheiten und Verzerrungen lassen sich dabei nicht gänzlich ausschließen.
4. Das Verbot von Fahrplananpassungen und der damit verbundene Ausschluss der verpflichteten Anlagen vom Intraday-Markt ist zur Erreichung des mit der Redispatch-Maßnahme erstrebten Zwecks, die Aufrechterhaltung bzw. Wiederherstellung der Systemsicherheit und -zuverlässigkeit, grundsätzlich erforderlich.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1; EnWG §§ 1, 6, 11; EnwG § 12 Abs. 4, § 13 Abs. 1, 1a S. 1, § 13 S. 3, § 13 Abs. 2a, 3; VwVfG § 37; VwGO § 44 Abs. 1 Nr. 4
Verfahrensgang
Beschlusskammer 6 (Beschluss vom 30.10.2012; Aktenzeichen BK6-11/098) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der Beschlusskammer 6 der Bundesnetzagentur vom 30.10.2012 (BK6-11/098) aufgehoben. Die weiter gehende auf Neubescheidung gerichtete Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Bundesnetzagentur. Die weiteren Beteiligten tragen ihre Kosten selbst.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A. Die Betroffene ist eine 100 %-ige Tochter der S. AG. Sie ist Energiegewinnungs- und Erzeugungsgesellschaft im S.-Konzern. Die Erzeugungstätigkeit erstreckt sich auf die Bereiche Braunkohle, Kernenergie und Wasserkraft, insbesondere Pumpspeicherkraftwerke. Den Teilbetrieb Steinkohle/Gas einschließlich der dazu gehörenden Kraftwerksanlagen, Beteiligungen und Strombezugsrechte hat die Betroffene durch Abspaltung gemäß § 123 Abs. 2 Nr. 1 UmwG, die am 08.05.2013 wirksam geworden ist, auf die S. H. SE, ebenfalls eine 100 %-ige Tochtergesellschaft der S. AG, übertragen.
Mit dem angegriffenen Beschluss vom 30.10.2012 hat die Beschlusskammer 6 der Bundesnetzagentur (BK6-11/098) die Festlegung zur "Standardisierung vertraglicher Rahmenbedingungen für Eingriffsmöglichkeiten der Übertragungsnetzbetreiber in die Fahrweise von Erzeugungsanlagen" erlassen. Der Beschluss wurde am 07.11.2012 im Amtsblatt der Bundesnetzagentur veröffentlicht. Die Betroffene war zum Verwaltungsverfahren förmlich beigeladen.
Hintergrund der Festlegung ist die Zunahme sog. Redispatch-Maßnahmen, u.a. weil im März 2011 acht Kernkraftwerke außer Betrieb genommen worden waren und zunehmend Strom aus erneuerbaren Energien in das Netz eingespeist wird, mit der der Netzausbau nicht Schritt hält. Bei Redispatch-Maßnahmen handelt es sich um physikalische Eingriffe in die Fahrweise von Kraftwerken, die notwendig werden, wenn die strom- oder spannungsbedingte Überlastung eines Netzelements die Netzsicherheit gefährdet. Beim strombedingten Redispatch wird einer Überlastung eines Netzelementes dadurch entgegengewirkt, dass ein Kraftwerk auf der Seite mit dem Erzeugungsüberschuss seine Einspeisung reduziert und ein Kraftwerk hinter dem Engpass seine Einspeisung entsprechend erhöht. Dadurch nimmt der Stromfluss (Stromstärke) auf dem betroffenen Netzelement ab. Beim spannungsbedingten Redispatch wird die Wirkleistungseinspeisung von einem oder mehreren Kraftwerken reduziert oder erhöht, um den Einsatz von Blindleistung aus Kraftwerken zur Spannungsstabilisierung in ausreichender Menge zu gewährleisten. In der Vergangenheit erfolgten Redispatch-Maßnahmen nur aufgrund freiwilliger Vereinbarungen zwischen Übertragungsnetzbetreibern und Kraftwerksbetreibern.
Durch die angegriffene Festlegung vom 20.10.2012 hat die Beschlusskammer 6 der Bundesnetzagentur die Vorgaben in § 13 Abs. 1 EnWG näher ausgestaltet.
Nach Tenorziffer 1 der Festlegung ist eine Anweisung zur Vornahme einer Redispatch-Maßnahme zulässig, wenn aufgrund von Netzbelastungsberechnungen oder aufgrund anderer gesicherter Erkenntnisse andernfalls strombedingte Überlastungen von Betriebsmitteln oder Verletzungen betrieblich zulässiger Spannungsbänder zu erwar...