Leitsatz (amtlich)
Die andauernde, unberechtigte Weigerung eines Netzbetreibers, eine individuelle Netzentgeltvereinbarung gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 und 3 StromNEV für nunmehr vergangene Zeiträume abzuschließen, stellt ein die Interessen des Letztverbrauchers gegenwärtig beeinträchtigendes missbräuchliches Verhalten dar, gegen das die Regulierungsbehörden im Wege der Missbrauchsaufsicht nach § 31 EnWG vorgehen können. Der Zulässigkeit des Antrags steht es nicht entgegen, dass der Antragsteller bei einer andauernden unberechtigten Verweigerung des Netzbetreibers, eine Vereinbarung über individuelle Netzentgelte gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 und 3 StromNEV abzuschließen, im Rahmen der Missbrauchsverfahrens die entsprechende Verpflichtung des Netzbetreibers für einen - nunmehr - vergangenen Zeitraum begehrt.
Die geltende Rechtslage, anhand derer ein Anspruch auf Vereinbarung eines Netzentgeltes zu prüfen ist, wird durch Leitfäden der Bundesnetzagentur zur Bildung individueller Netzentgelte weder determiniert noch konkretisiert. Den Äußerungen der Regulierungsbehörde in Leitfäden kommt eine rechtlich verbindliche Konkretisierungswirkung nicht zu. Ein Anspruch auf Abschluss einer Vereinbarung über ein individuelles Netzentgelt gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 und 3 StromNEV entfällt somit nicht schon deswegen, weil das den Berechnungsvorgaben des Leitfadens 2009 entsprechende individuelle Netzentgelt über dem allgemeinen Netzentgelt läge.
Betriebsmittel - und Verlustenergiekosten sind nur anteilsmäßig nach Maßgabe der individuellen Ausnutzung zu berücksichtigen. Die in dem Leitfaden 2009 der Bundesnetzagentur vorgegebene Berechnungsmethodik, wonach die Kosten des physikalischen Pfads und für die Beschaffung von Verlustenergie dem Letztverbraucher in vollem Umfang zugerechnet werden, wird der in § 19 Abs. 2 Satz 3 StromNEV enthaltenen Vorgabe, nach der das nach Satz 2 gebildete Netzentgelt den individuellen Beitrag zur Senkung oder zur Vermeidung der Erhöhung der Netzkosten widerzuspiegeln hat, nicht gerecht.
Normenkette
EnWG § 31; StromNEV § 19 Abs. 2 S. 2, § 19 S. 3
Verfahrensgang
Bundesnetzagentur (Beschluss vom 14.07.2015; Aktenzeichen BK 4 - 14 - 001) |
Tenor
Die Bundesnetzagentur wird unter Aufhebung ihres Beschlusses vom 14.07.2015 (BK 4 - 14 - 001) verpflichtet, die Beteiligte zu verpflichten, gegenüber der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Abnahmestelle "A." in... ein Angebot zum Abschluss einer Vereinbarung von individuellen Netzentgelten in folgendem Umfang vorzulegen:
- in Höhe von... EUR für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis 31.12.2005,
- in Höhe von... EUR für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2006,
- in Höhe von... EUR für den Zeitraum vom 01.01.2007 bis 31.12.2007,
- in Höhe von... EUR für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.12.2008,
- in Höhe von... EUR für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.12.2009,
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin werden der Bundesnetzagentur auferlegt.
Eine weitere Kostenerstattung findet nicht statt.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
A. Die Beschwerdeführerin betreibt in... eine...anlage, die... produziert. Die Beteiligte betreibt ein Elektrizitätsversorgungsnetz in... und... sowie im..., das die Netz- und Umspannebenen Umspannung Hoch- in Mittelspannung bis Niederspannung umfasst. Die Beschwerdeführerin ist mit ihrer Abnahmestelle "A." in... an das Mittelspannungsnetz der Beteiligten angeschlossen und nutzt in dieser Netzebene sämtliche Betriebsmittel ausschließlich selbst. Das von der Beschwerdeführerin singulär genutzte Mittelspannungskabel der Beteiligten führt zu deren Umspannanlage B. Die Umspannanlage B. ist vom Umspannwerk C. ca. 12 km entfernt. Das Umspannwerk C. bildete in den Kalenderjahren 2004-2010 den Einspeisepunkt des nächsten Grundlastkraftwerks - AKW. - in das Übertragungsnetz der D. Der Netzanschlusspunkt des Kraftwerks lag in dem genannten Umspannwerk. Das Kraftwerk selbst ist mit mehreren Blöcken betrieben worden.
Die Beschwerdeführerin bezog in den Kalenderjahren 2004 bis 2009 elektrische Energie für den eigenen Verbrauch aus dem Netz der Beteiligten. Auf der Grundlage der unstreitigen Verbrauchs- und Kapazitätswerte sowie der von der Beteiligten offengelegten und bei der Berechnung des physikalischen Pfades angesetzten Kosten ließ die Beschwerdeführerin im Mai 2012 energiewirtschaftliche Berechnungen durch das Büro... durchführen. Dieses ermittelte individuelle Netzentgelte für den Zeitraum vom 01.08.2005 bis 31.12.2009, die deutlich unterhalb der veröffentlichten allgemeinen Netzentgelte liegen. Der Kostenermittlung lag die Annahme zugrunde, dass der physikalische Pfad erst an der Umspannanlage B. beginnt und die 380 kV-Maschinenleitung des AKW. bis zum Umspannwerk C. nicht Teil des Übertragungsnetzes, sondern dem AKW-Betreiber zuzurechnen sei. Ferner beruhte die Berechnung auf der Prämisse, dass die Betriebsmittelkosten sowie die Verlustenergiekosten nur anteilig, d.h. d...