Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Befangenheit bei Mitwirkung an Versäumnisurteil in erster Instanz
Leitsatz (amtlich)
Die Mitwirkung eines Richters bei einer nicht abschließenden Entscheidung in erster Instanz (hier: Versäumnisurteil) führt in der Berufungsinstanz weder zu einem Ausschluss nach § 41 Nr. 6 ZPO noch begründet sie die Besorgnis der Befangenheit nach § 42 ZPO
Normenkette
ZPO § 41 Nr. 6, §§ 42, 45
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 23.11.2023; Aktenzeichen 2-06 O 145/22) |
Tenor
In dem Rechtsstreit
...
1. Das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht A wird für unbegründet erklärt.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht A hat in erster Instanz an dem Versäumnisurteil vom 08.03.2023 mitgewirkt, das durch das berufungsgegenständliche Urteil des Landgerichts vom 23. November 2023 - an dem der Richter nicht mitgewirkt hat - weitgehend aufrechterhalten worden ist.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Richter sei nach § 41 Nr. 6 ZPO von der Mitwirkung ausgeschlossen.
Der Richter hat eine dienstliche Erklärung abgegeben, in der er seine Mitwirkung dargelegt hat.
II. 1. Der Senat hat über einen Ausschluss des Richters nach § 45 ZPO zu entscheiden. Auf Antrag einer Partei kann eine gerichtliche Entscheidung nach § 45 ZPO herbeigeführt werden, da § 45 ZPO nicht nur auf Ablehnungs- oder Selbstanzeigeverfahren Anwendung findet, sondern auch Anwendung finden kann, wenn ein Ausschluss nach §§ 41, 45 ZPO in Betracht kommt. Im Übrigen hat der Richter durch Abgabe einer dienstlichen Erklärung das "Selbstablehnungsverfahren" in Gang gesetzt, das eine Entscheidung über die Befangenheit erfordert.
Der Senat legt den Antrag der Beklagten insoweit dahingehend aus, dass diese den Richter nach § 41 Nr. 6 ZPO für ausgeschlossen ansieht, hilfsweise jedenfalls die Besorgnis der Befangenheit besteht.
2. Der Richter ist nicht nach § 41 Nr. 6 ZPO qua Gesetz von der Mitwirkung ausgeschlossen.
Ein Richter, der in einer früheren Instanz oder in einem vorangegangenen schiedsrichterlichen Verfahren mit der Sache vorbefasst war, ist unter den weiteren Voraussetzungen der Nr. 6 vom Richteramt in derselben Sache ausgeschlossen. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, die Funktionstüchtigkeit eines unparteiisch entscheidenden Instanzenzuges zu gewährleisten. Der Richter, der eine Entscheidung erlassen hat, soll von der Überprüfung derselben ausgeschlossen sein. Daher greift der Ausschluss nach § 41 Nr. 6 auf Grund der Mitwirkung des Richters (beim Erlass, § 309, nicht Verkündung) an jeder Entscheidung, die nach der Anfechtung mit einem ordentlichen Rechtsmittel (§§ 511 ff., 542 ff., 567 ff.) der Überprüfung durch das Rechtsmittelgericht unterliegt. Dazu gehören Endurteile erster und zweiter Instanz und Zwischenurteile gemäß § 303. Nach dem Wortlaut des § 41 Nr. 6 muss der ausgeschlossene Richter beim Erlass der angefochtenen Entscheidung mitgewirkt haben. Damit ist die Mitwirkung an vorausgehenden Entscheidungen gegenüber der Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung unbeachtlich (vgl. z.B. BGH, NJW-RR 2015, 444 Rdnr. 7 mwN). Eine erweiternde Auslegung der Vorschrift ist weder geboten noch im Hinblick auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG angezeigt (Musielak/Voit/Heinrich, 21. Aufl. 2024, ZPO § 41 Rn. 13). Daher führt die Mitwirkung an einem die Instanz nicht abschließenden Versäumnisurteil nicht zu einem Ausschluss nach § 41 Nr. 6 ZPO (h.M. MüKoZPO/Stackmann Rn. 26; BeckOK ZPO/Vossler, ZPO, 52. Ed., § 41, Rnr. 13.1; Wieczorek/Schütze/Gerken Rn. 14; Musielak/Voit/Heinrich, 21. Aufl. 2024, ZPO § 41; aA BAG NJW 1968, 814).
3. Es ist auch nicht nach § 42 ZPO die Besorgnis der Befangenheit begründet.
a) Nach § 42 II ZPO findet die Ablehnung eines Richters wegen der Besorgnis der Befangenheit statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Dabei muss es sich um einen objektiven Grund handeln, der vom Standpunkt des Ablehnenden aus bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken kann, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteilich gegenüber. Rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des Gesuchstellers scheiden aus (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 20. Aufl., § 42 Rdnr. 9 m.w. Nachw.).
b) Die Vorschrift des § 42 II ZPO muss im Hinblick auf Art. 101 I 2 GG ausgelegt werden. Das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters zwingt das erkennende Gericht, die tatbestandlichen Voraussetzungen, unter denen ein Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden kann, nicht extensiv auszulegen, um so der Gefahr vorzubeugen, dass ein "missliebiger Richter", der gesetzlicher Richter ist, von seinem Amt ausgeschlossen wird (OLG Saarbrücken, OLGZ 1974, 2991). Wenn auch das verfassungsrechtliche Gebot des gesetzlichen Richters eine restriktive Auslegung des § 42 ZPO gebietet, so dürfen doch die Anf...