Entscheidungsstichwort (Thema)
EuGH-Vorlage zur Einstandspflicht des Haftpflichtversicherers mangelhafter PIP-Brustimplantate Verfahrensgang:
Normenkette
AEUV Art. 18 Abs. 1; EGBGB Art. 46c
Verfahrensgang
LG Frankfurt am Main (Urteil vom 21.12.2016; Aktenzeichen 2-04 O 6/16) |
Tenor
Die Entscheidung über die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. Dezember 2016 wird ausgesetzt.
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden nach Art. 267 Abs. 2 AEUV folgende Fragen zur Auslegung von Art. 18 Abs. 1 AEUV vorgelegt:
1. Sind Adressaten des Diskriminierungsverbotes des Art. 18 Abs. 1 AEUV nicht nur die EU-Mitgliedstaaten und die Unionsorgane, sondern auch Private (unmittelbare Drittwirkung des Art. 18 Abs. 1 AEUV)?
2. Sollte Frage 1 zu verneinen und Art. 18 Abs. 1 AEUV im Verhältnis zwischen Privaten unanwendbar sein: Ist Art. 18 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass diese Bestimmung einer Beschränkung des Deckungsschutzes auf Schadensfälle, die im metropolitanen Frankreich und in den französischen Überseegebieten eintreten, deswegen entgegensteht, weil die zuständige französische Behörde, das Bureau central de tarification, die entsprechende Klausel nicht beanstandet hat, obwohl diese Klausel deswegen gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV verstößt, weil sie eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit beinhaltet?
3. Sollte Frage 1 zu bejahen sein: Unter welchen Voraussetzungen kann in Drittwirkungsfällen eine mittelbare Diskriminierung gerechtfertigt werden? Insbesondere: Kann eine territoriale Begrenzung des Versicherungsschutzes auf Schadensfälle, die innerhalb eines bestimmten EU-Mitgliedstaates auftreten, dann mit dem Argument der Begrenzung der Einstandspflicht des Versicherungsunternehmens und der Prämienhöhe gerechtfertigt werden, wenn zugleich die einschlägigen Versicherungsverträge vorsehen, dass im Falle von Serienschäden die Deckung pro Schadensfall und die Deckung pro Versicherungsjahr summenmäßig begrenzt sind?
4. Für den Fall, dass Frage 1 zu bejahen ist: Ist Art. 18 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen, dass dem Versicherer dann, wenn dieser unter Verstoß gegen Art. 18 Abs. 1 AEUV nur bei Schadensfällen, die im metropolitanen Frankreich und in den französischen Überseegebieten eingetreten sind, in die Regulierung eingetreten ist, der Einwand, eine Zahlung könne nicht erfolgen, weil die Deckungshöchstsumme nunmehr bereits erreicht sei, verwehrt ist, wenn der Schadensfall außerhalb dieser Gebiete eingetreten ist?
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Zahlung von Schmerzensgeld und die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere materielle und immaterielle Schäden in Anspruch. Die Klägerin ließ sich im Herbst 2006 aus medizinischen Gründen (eingetretene Kapselbildung) die Brustimplantate austauschen. Hierzu begab sie sich zu dem erstinstanzlichen Beklagten zu 1, Herrn A, in Behandlung, der mit ihr am 2. März 2006 die gewünschte Operation besprach. Am 30. Oktober 2006 oder am 1. November 2006 wurden die Brustimplantate ausgetauscht. Hierbei wurden der Klägerin Implantate der B B. V. (im Folgenden: B) eingesetzt, die im Jahr 2012 wieder ausgetauscht wurden.
Bei den bei der Klägerin im Jahr 2006 eingesetzten Brustimplantaten handelte es sich um mit nicht zugelassenem Industriesilikon gefüllte Brustimplantate des Herstellers Poly Implant Prothèse S.A. (im Folgenden: PIP). In Verkehr gebracht worden waren die Implantate nicht von PIP, sondern von dem niederländischen Unternehmen B, das sie jedoch von PIP bezogen und lediglich verpackt und mit einer Packungsbeilage versehen hatte (Schriftsatz der Beklagten zu 2 vom 3. März 2016, S. 6, Anlagenband).
Die Beklagte zu 2 war seit Oktober 1997 von der PIP u. a. mit der Konformitätsbewertung gemäß deutschen, europäischen und anderen internationalen Normen beauftragt worden, wobei sie als "Benannte Stelle" im Sinne der Medizinprodukterichtlinie RL 93/42/EWG vom 14. Juni 1993 (später in der Fassung RL 2003/12/EG vom 3. Februar 2003) tätig wurde. Auch B führte als Quasi-Hersteller ein Konformitätsbewertungsverfahren nach Anhang II der Medizinprodukterichtlinie durch. Im Rahmen dieses Verfahrens hat B die erstinstanzliche Beklagte zu 2 als privatrechtlich tätige "Benannte Stelle" mit der Überprüfung bestimmter Aspekte beauftragt. Alle relevanten Auslegungs- und Herstellungsschritte erfolgten allerdings beim Originalhersteller PIP (Schriftsatz der Beklagten zu 2 vom 3. März 2016, S. 6, Anlagenband).
Bei der Beklagten zu 3 unterhielt die PIP u. a. eine Betriebs- und Produkthaftpflichtversicherung, wobei sie von der zuständigen französischen Behörde (Bureau Central de Tarification) einem Kontrahierungszwang zu näher festgelegten Konditionen unterworfen war. Die Geltungsdauer des entsprechenden Versicherungsvertrages wurde mehrfach verlängert. Nach französischem Recht (Gesetz Nr. 2002-303 vom 4. März 2002) gewährt die von PIP unterhaltene Haftpflichtversicherung Geschädigten einen Direktanspruch gegen den Versicherer....