Leitsatz (amtlich)
- Eine tatsächliche Verhinderung des Vormunds als Voraussetzung für eine Ergänzungspflegschaft nach § 1909 BGB ist bei mangelnder Sachkenntnis auf dem Gebiet der asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten noch nicht anzunehmen (im Anschluss an BGH FamRZ 2013, 1206 und Beschl. v. 4.12.2013 - XII ZB 57/13).
- Dem Beschwerdegericht ist die Frage, ob ein Mitvormund gem. §§ 1775, 1779 BGB zu bestellen ist, auch zur Entscheidung angefallen, wenn mit der Beschwerde nur beanstandet wird, dass der Antrag auf Bestellung eines Ergänzungspflegers zurückgewiesen wurde.
- Dem unbegleitet eingereisten ausländischen Jugendlichen ist gem. §§ 1775, 1779 Abs. 2 BGB ein Mitvormund mit speziellen Rechtskenntnissen auf dem Gebiet des Asyl- und Ausländerrechts zu bestellen, wenn das mangels geeignetem Einzelvormund grundsätzlich als Vormund zu bestellende Jugendamt selbst nachvollziehbar darlegt, für diesen Wirkungskreis nicht die notwendige Sachkunde zu besitzen (vgl. Bienwald, FamRZ 2013, 1209). Ein allgemeiner Rechtssatz dergestalt, dass diese sachkundige Vertretung "grundsätzlich durch das Jugendamt als Vormund gewährleistet" ist (BGH, Beschl. v. 4.12.2013 - XII ZB 57/13, obiter dictum Rz. 9), lässt sich deshalb nicht aufstellen, weil insoweit jeweils eine Tatsachenfeststellung zu treffen ist.
- Gemäß Art. 6 Abs. 2 EU VO Nr. 604/13 muss der Vertreter über eine entsprechende Qualifikation und Fachkenntnisse verfügen, "um zu gewährleisten, dass dem Wohl des Minderjährigen während der nach dieser Verordnung durchgeführten Verfahren Rechnung getragen wird". Damit ist klargestellt, dass der Vertreter des Minderjährigen selbst über die erforderlichen Fachkenntnisse verfügen muss und es nicht erst von der Einschätzung eines nach eigenem Bekunden in ausländerrechtlichen Fragen nicht ausreichend fachkundigen Vormunds abhängen darf, ob er im Einzelfall den Beratungsbedarf erkennt bzw. eine rechtliche Vertretung seines Mündels in asyl- oder ausländerrechtlichen Angelegenheiten für erforderlich hält und dafür sorgt.
- Zwar muss im Hinblick auf die umzusetzenden europarechtlichen Vorgaben künftig dafür Sorge getragen werden, bei den Jugendämtern speziell ausgebildete Juristen als Amtsvormünder mit den notwendigen Fachkenntnissen einzusetzen; solange diese Voraussetzungen aber nicht erfüllt sind, kann dies nicht zu Lasten der unbegleiteten Jugendlichen gehen, denen andernfalls eine unmittelbare ausreichende Vertretung in ihren asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten vorenthalten würde.
Normenkette
BGB §§ 1775, 1779 Abs. 2, § 1797 Abs. 2, § 1909; EU-VO 604/2013 Art. 6
Verfahrensgang
AG Bensheim (Beschluss vom 07.01.2014; Aktenzeichen 73 F 512/13 EASO) |
Tenor
1. Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
2. Im Wege der einstweiligen Anordnung wird bezüglich des Beteiligten zu 1. das Ruhen der elterlichen Sorge beider Elternteile festgestellt und Vormundschaft angeordnet.
Das Jugendamt ... wird zum Amtsvormund mit Ausnahme des Wirkungskreises der asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten bestellt.
Als Mitvormund für den Wirkungskreis der asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten wird Rechtsanwältin ... bestellt. Diese übt ihr Amt berufsmäßig aus.
3. Gerichtsgebühren werden sowohl für den ersten Rechtszug als auch das Beschwerdeverfahren nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
4. Der Verfahrenswert wird auf 1.500 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der ... 1998 in ... geborene betroffene Jugendliche, dessen Eltern nach seinen Angaben in seiner Heimat aus religiösen Gründen in Haft sitzen und der auch selbst dort in Haft sitzend so schwer am Kopf verletzt worden ist, dass er nun in Deutschland am Auge notoperiert werden musste, hat zwischenzeitlich den Kontakt zu seinen Eltern verloren. Er reiste, nachdem er schwer erkrankt freigelassen worden ist, durch Vermittlung seines noch in ... lebenden Cousins nach Deutschland ein, wurde durch das Jugendamt ... in Obhut genommen und in der ... Einrichtung untergebracht, weil sein hier lebender Bruder ihn weder aufnehmen noch für ihn sorgen kann. Mit Eilanträgen vom 24.9.2013 und 16.12.2013 hat das Jugendamt die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge, die Einsetzung eines Vormundes sowie die Bestellung eines Ergänzungspflegers für die asyl- und ausländerrechtlichen Belange beantragt.
Das AG hat den Jugendlichen im EA-Verfahren persönlich angehört und durch Beschluss vom 7.1.2014, der nach seinem äußeren Erscheinungsbild (Aktenzeichen und Rechtsmittelbelehrung) eine Hauptsacheentscheidung ist, das Ruhen der elterlichen Sorge festgestellt sowie das Jugendamt ... zum Amtsvormund bestellt. Dem Antrag, einen Rechtsanwalt als Ergänzungspfleger für die asyl- und ausländerrechtlichen Angelegenheiten zu bestellen, hat es unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BGH v. 29.5.2013 - XII ZB 530/11, nicht entsprochen. Gegen den dem Jugendamt als zuständige Fachbehörde (ASD) am 13.1.2014 zugestellten Beschluss wendet sich der Amtsvormund mit seiner am 14.1.2014 beim AG eing...