Leitsatz (amtlich)
§ 65 Abs. 4 FamFG steht einer Prüfung der örtlichen Zuständigkeit des Nachlassgerichts für den Erlass eines Erbscheins durch das Beschwerdegericht nicht entgegen (einschränkende Auslegung).
Verfahrensgang
AG Offenbach (Beschluss vom 30.03.2010) |
Tenor
Der Beschluss des AG Offenbach am Main vom 30.3.2010 wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das Nachlassgericht Offenbach am Main ist zur Entscheidung über den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2) vom 30.11.2009 örtlich unzuständig.
Das Erbscheinsverfahren wird an das AG Berlin Schöneberg verwiesen.
Gründe
Die Beschwerde der Beteiligten zu 1) vom 28.4.2010 (Bl. 107f der Akte) ist gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, da sie insbesondere form- und fristgerecht eingelegt wurde (§§ 63, 64 FamFG), und die Beteiligte zu 1) durch die vom Nachlassgericht mit Beschluss vom 30.3.2010 (Bl. 101 ff. der Akte) angekündigte Erteilung des von dem Beteiligten zu 2) mit Antrag vom 30.11.2009 beantragten Erbscheins (Bl. 33 ff. der Akte), der die Beteiligten zu 1) und 2) als Erben zu je 1/2 ausweisen soll, aufgrund ihres möglicherweise bestehenden alleinigen Erbrechts in ihren Rechten beeinträchtigt ist (§ 59 Abs. 1 FamFG).
Auch der Beschwerdewert nach § 61 Abs. 1 FamFG von über 600 EUR ist als erreicht anzusehen. Dabei hat der Senat nicht den sich aus dem von der Beteiligten zu 1) mit Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 30.12.2009 (Bl. 42 ff. der Akte) übersandten Nachlassverzeichnis ergebenden Nachlasswert zum Gegenstand des Interesses der Beteiligten zu 1) bestimmen können, da dieses einen negativen Nachlasswert ausweist. Auch hat der Senat nicht den Wert oder einen Bruchteil möglicher Ausgleichansprüche des Beteiligten zu 2) gegen die Beteiligte zu 1) zum Gegenstand nehmen können, da der Beteiligte zu 2) diese Ausgleichsansprüche (insoweit ist an eine Pflichtteilsergänzung, § 2325 BGB, zu denken) unabhängig davon geltend machen könnte, ob ihn ein Erbschein zu 1/2 als Erben ausweist. Allerdings konnte das Interesse der Beteiligten zu 1), zu vermeiden, dass der Beteiligte zu 2) als im Erbschein ausgewiesener Miterbe möglicherweise zumindest ihr gegenüber anders verfahren würde, mit einem Wert von über 600 EUR geschätzt werden.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Der Beschluss des Nachlassgerichts ist abzuändern und neu zu fassen, da das Nachlassgericht Offenbach am Main für die Erteilung des beantragten Erbscheins örtlich unzuständig ist.
Das OLG als weiteres Tatsachengericht muss sich bei seiner Entscheidung über die Erteilung des Erbscheins in die Lage versetzen, als hätte es über die Erteilung des Erbscheins nach § 2359 BGB zu befinden.
Dabei ist im Hinblick darauf, dass es sich bei dem erst nach dem 1.9.2009 durch den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2) vom 30.11.2009 eingeleiteten Erbscheinsverfahren um ein selbständiges Verfahren i.S.v. Art. 111 Abs. 1 und 2 FGGRG handelt, das seit dem 1.9.2009 geltende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) anzuwenden; auf den vor diesem Stichtag liegenden Todestag der Erblasserin ist daher nicht abzustellen.
Danach ist für die Erbscheinserteilung gem. § 343 Abs. 1 FamFG das AG örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Erblasserin zur Zeit des Erbfalls ihren Wohnsitz hatte; fehlt ein inländischer Wohnsitz, so ist das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Erblasserin zu diesem Zeitpunkt ihren Aufenthalt hatte. Nach § 343 Abs. 2 FamFG ist das AG Schöneberg in Berlin zuständig, wenn die Erblasserin Deutsche war und zum Zeitpunkt des Erbfalls im Inland weder Wohnsitz noch Aufenthalt hatte.
Nach § 7 Abs. 1 BGB wird ein Wohnsitz durch die ständige Niederlassung an einem Ort begründet. Das bedeutet, dass der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Ort der Aufenthaltsnahme gebildet wird. In subjektiver Hinsicht ist der Wille erforderlich, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse dort dauernd beizubehalten.
Danach war und ist auch derzeit eine örtliche Zuständigkeit des Nachlassgerichts Offenbach am Main zum Erlass des hier streitigen Erbscheins nicht gegeben.
Die deutsche Erblasserin hatte ihren tatsächlichen Wohnsitz zum Zeitpunkt ihres Todes und auch ihren Aufenthalt tatsächlich in Spanien.
Die Erblasserin ist unstreitig am ... 2009 in .../Spanien verstorben.
Weiterhin hatte die Beteiligte zu 1) bereits im Schriftsatz ihrer Verfahrensbevollmächtigten vom 17.3.2010 (Bl. 93 ff., 97 der Akte) vor dem Nachlassgericht mitgeteilt, die Erblasserin sei im Jahr 2004 nach Spanien übergesiedelt, da sie sich in dem milden Klima in Spanien wohler gefühlt habe, als in Stadt1. Auch der Beteiligte zu 2) selbst hatte bereits im Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 5.2.2010 (Bl. 78 ff., 81 der Akte) mitgeteilt, dass die Beteiligte zu 1) zusammen mit ihrem Ehemann und der Erblasserin dauerhaft nach Spanien übergesiedelt sei.
Nachdem der Senat in seinem Beschluss vom 12.5.2010 über die Aufhebung der ersten Vorlageverfügung des Nachlassg...