Leitsatz (amtlich)

Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kann die Bevollmächtigung eines mitsorgeberechtigten Elternteils durch den anderen eine Übertragung des Sorgerechts ganz oder teilweise entbehrlich machen, wenn und soweit sie dem bevollmächtigten Elternteil eine ausreichend verlässliche Handhabe zur Wahrnehmung der Kindesbelange gibt.

Dies setzt eine (noch) ausreichende Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft der Eltern voraus, soweit eine solche unter Berücksichtigung der durch die Vollmacht erweiterten Handlungsbefugnisse des bevollmächtigten Elternteils unerlässlich bzw. erforderlich ist. Die Vollmacht ist deshalb nicht ausreichend, wenn eine notwendige Mitwirkung trotz Aufforderung nicht geleistet wird.

Die Vorenthaltung verfügbarer Informationen über die eigene leibliche Abstammung kann die freie Entfaltung der Persönlichkeit spezifisch gefährden (BVerfG, Urteil vom 19. April 2016 - 1 BvR 3309/13 - Rn. 34 ff.). Einem Elternteil kann deshalb gemäß § 1666 Abs. 3 BGB aufgegeben werden, das verstandesreife Kind über seine wahre Abstammung zu unterrichten.

 

Normenkette

BGB §§ 1626, 1666, 1671, 1684

 

Verfahrensgang

AG Bad Homburg (Aktenzeichen 91 F 892/17)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des; AGs - Familiengericht - Bad Homburg vor der Höhe vom 7. Dezember 2017 - Az. 91 F 892/17 - wird zurückgewiesen.

Der Antragstellerin wird aufgegeben, ihren Sohn Vorname2, geboren am XX.XX.2012, über seine wahre Abstammung zu unterrichten.

Die Gerichtskosten des Verfahrens beider Instanzen einschließlich des Rechtsbeschwerdeverfahrens haben die Eltern jeweils zur Hälfte zu tragen im Übrigen findet keine Kostenerstattung statt.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die weiteren Beteiligten zu 1) und 2) sind die rechtlichen und leiblichen Eltern des am XX.XX.2012 von der Antragstellerin geborenen Kindes Vorname2. Mit Urkunde vom 4. Dezember 2012 haben die Eltern die gemeinsame Sorge eingerichtet, dabei erhielt ihr gemeinsamer Sohn den Nachnamen des Kindesvaters. Die Kindesmutter ist 1974 geboren, der Kindesvater 1956. Der Kindesvater hat aus zwei anderen Beziehungen eine 1983 geborene Tochter A und eine im (...) 2012 geborene und in Kroatien lebende Tochter B.

Die Eltern haben sich Ende 2011 im beruflichen Kontext kennengelernt. Sie lebten nach dem Vortrag der Antragstellerin nie, nach dem Vorbringen des Antragsgegners bis 2014 zusammen.

Um denselben Nachnamen wie ihr Kind zu führen, hat die Kindesmutter 2014 ihren Nachnamen geändert; sie führt nun denselben Nachnamen wie der Kindesvater.

Vorname2 lebt seit seiner Geburt bei seiner Mutter. Diese hat nach ihren Angaben seit Ende 2013 eine Beziehung zu einem ihr seit ihrer Jugendzeit bekannten Mann, den sie im (...) 2016 geheiratet hat. Der Kindesvater hat nach Angabe der Kindesmutter seit 2014, nach Angabe des Kindesvaters seit April 2016 keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn. Vorname2 ist von seiner Mutter nie über seine Abstammung aufgeklärt worden. Nach Angabe der Mutter weiß Vorname2 nicht (mehr) um die Existenz seines Vaters und betrachtet stattdessen ihren Ehemann als seinen Vater.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Bad Homburg v.d.H. hat der Antragstellerin - mit Zustimmung des Antragsgegners - mit Beschluss vom 21. Mai 2013 das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung übertragen, Az. .../13 (Bl. 13 d. A.).

In dem auf Umgang gerichteten Verfahren ... vereinbarten die Kindeseltern am 16. Februar 2017, Beratung beim Jugendamt in Anspruch zu nehmen mit dem Ziel, Vorname2 über seine Abstammung aufzuklären und Umgang einzuleiten. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Anhörung Bezug genommen (Bl. Bl. 33 d. A.). Den vom Jugendamt in der Folge angebotenen ersten Beratungstermin sagte der Kindesvater, die drei weiteren Termine die Kindesmutter ab. Die vereinbarte Aufklärung des Kindes über seine Abstammung unterließ die Kindesmutter.

In dem unter dem Aktenzeichen ... geführten Verfahren verpflichtete der Kindesvater sich im Anhörungstermin am 10. November 2016, mit der Kindesmutter bis zur Regelung eines Umgangs keinen Kontakt aufzunehmen. Hintergrund dieses Verfahrens war das Vorbringen der Kindesmutter, dass der Kindesvater sie mit Telefonanrufen belästigt und sie vor ihrem Haus abgepasst habe. Wegen der Einzelheiten wird auf das Protokoll der Anhörung Bezug genommen (Bl. 75 d. A. ...).

In einem weiteren, von der Kindesmutter im Oktober 2016 eingeleiteten Verfahren vor dem Amtsgericht Bad Homburg, Az. .../16, erteilte der Antragsgegner der Antragstellerin im Rahmen einer Vereinbarung im Anhörungstermin vom 16. Februar 2017 eine vom Gericht protokollierte "umfängliche Vollmacht", insbesondere bezogen auf alle Angelegenheiten der Gesundheitsfürsorge, der Vermögenssorge, der schulischen Angelegenheiten, der Vertretung gegenüber Behörden und ähnlichem, für Passangelegenheiten sowie für die Vertretung gegenüber dem Standesamt zur Streichung des Vornamens Vorname1 (vgl. Bl. 36 f. der Akte .../16).

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