Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahrzeugkaufvertrag: Schadenersatzanspruch aufgrund der Behauptung unzulässiger Abschalteinrichtungen
Leitsatz (amtlich)
1. Es fehlt bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems an einem arglistigen Vorgehen eines Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde, wenn die in einem Fahrzeug eingesetzte temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung nicht danach unterscheidet, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet. (Rn. 29)
2. Eine Prüfzykluserkennung ist nur unzulässig, wenn sie dazu benutzt wird, die Funktion eines Teils des Emissionskontrollsystems so zu verändern, dass deren Wirksamkeit im normalen Fahrbetrieb verringert wird. (Rn. 39)
Normenkette
BGB § 826
Verfahrensgang
LG Gießen (Urteil vom 03.12.2019; Aktenzeichen 2 O 483/19) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Gießen vom 3.12.2019 wird zurückgewiesen.
Das Urteil des Landgerichts wird ohne Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem Dieselskandal auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 27.4.2015 den von der Beklagten hergestellten streitgegenständlichen PKW - einen VW Golf "Comfortline" 77 kW - als Gebrauchtwagen zum Preis von 18.600,- Euro. Das Fahrzeug ist nicht mit dem Motor EA 189 ausgestattet, sondern mit dem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Motor EA 288 der Schadstoffklasse EU 5.
Für das Fahrzeug des Klägers ist kein Rückruf durch das KBA angeordnet worden.
Der Kläger hat behauptet, der Motor des Fahrzeugs weise eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt eines "Thermofensters" auf, durch welches die Abgasrückreinigung schon bei vergleichsweise hohen Plus-Temperaturen außer Funktion gesetzt werde. Für den Motor EA 189 habe die Beklagte eingeräumt, dass auch nach dem Softwareupdate bereits ab +15 °C die Wirksamkeit der Abgasreinigung beeinflusst werde. Die Beklagte habe in einem Schriftsatz vor dem Landgericht Wuppertal eingeräumt, dass eine derartige Temperaturmessung auch bei dem Motor EA 288 durchgeführt werde (Bl. 4, 5 d.A.). Zwischenzeitlich habe auch beim Nachfolgermotor EA 288 festgestellt werden können, dass die Motorsteuerungssoftware die Umgebungstemperatur erfasse und bei Unterschreiten eines bestimmten Grenzwertes, vorliegend +15 °C, die Abgasreinigung herunterfahre bzw. bei einer Temperatur von knapp über +10 °C abschalte (Bl. 131 d.A.). Die genannte Einschränkung der Abgasnachbehandlung sei von der Beklagten der Prüfungsbehörde bewusst verschwiegen worden, wohl wissend, dass sie niemals genehmigungsfähig sein könne, selbst wenn die Begründung - ein angeblicher Motor- und Aggregateschutz - zuträfe.
Zudem habe sich die Beklagte mit anderen Autoherstellern in unzulässiger Weise im Rahmen eines so genannten Autokartells über technische Fragen und auch über Standards abgesprochen. Er verweist auf eine Selbstanzeige zu den europäischen Kartellbehörden vom Frühsommer 2017, in welcher eingeräumt werde, dass man bei Verwendung von SCR-Katalysatoren auch über eine sog. Dosierungsstrategie bei AdBlue gesprochen habe, um den Verbrauch der Flüssigkeit zu reduzieren und den Nachfüllvorgang auf die Wartungsintervalle begrenzen zu können. Unstreitig kommt die SCR-Technologie im Fahrzeug des Klägers allerdings nicht zum Einsatz.
Die Beklagte hat auf die in dem Bericht der Untersuchungskommission V. veröffentlichten Ergebnisse der Abgasmessungen in umfangreichen Felduntersuchungen des Motors EA 288 auch durch RDE-Messungen (Real Drive Emissions = Emissionen im Straßenverkehr) verwiesen. Sie hat das Vorhandsein einer Umschaltlogik bestritten und behauptet, das Emissions-Kontrollsystem des EA 288 arbeite bei voller Funktionsfähigkeit aller Bauteile in beiden Fahrsituationen (Straße und Prüfstand) mit identischer Wirksamkeit. Das zum Einsatz kommende Thermofenster sei zulässig. Die Abgasrückführung sei im Bereich zwischen -24° C und +70° C in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur zu 100 % aktiv, außerhalb dieses Temperaturrahmens erfolge in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur keine Abgasrückführung. Innerhalb des Fensters finde in Abhängigkeit zur Umgebungstemperatur keine kontinuierliche Abstufung, sog. Abrampung, statt. Dies bedeute, dass die Abgasrückführung entweder zu 100 % aktiv oder inaktiv sei. Im Übrigen erfüllten Thermofenster bereits nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 VO (EG) Nr. 715/2007. In bestimmten Temperaturbereichen müsse die Abgasrückführungsrate aus Motorschutzgründen abgerampt (d.h. reduziert) werden. Bei niedrigen Umgebungstemperaturen und Fahrbedingungen, die zu kühleren Ladelufttemperaturen führen, käme es ohne die Korre...