Entscheidungsstichwort (Thema)
Anscheinsbeweis gegen Linksabbieger bei Kollision mit Gegenverkehr
Leitsatz (amtlich)
Der Anscheinsbeweis für ein Alleinverschulden des Linksabbiegers wird bereits durch den Nachweis der ernsthaften Möglichkeit eines anderen Ablaufs erschüttert. In die Abwägung nach § 17 StVG, die im Falle einer Regelverletzung des Bevorrechtigten vorzunehmen wäre, können indessen nur unstreitige oder bewiesene Umstände eingestellt werden. Daraus ergibt sich, dass der Linksabbieger letztlich nicht nur die ernsthafte Möglichkeit eines verkehrsordnungswidrigen Verhaltens des Bevorrechtigten beweisen muss, sondern das Vorliegen eines solchen Verhaltens, um überhaupt einer Alleinhaftung entgehen zu können.
Normenkette
StVG § 17
Verfahrensgang
LG Wiesbaden (Urteil vom 27.06.2008; Aktenzeichen 9 O 280/06) |
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das am 27.6.2008 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Wiesbaden (Az.: 9 O 280/06) wird zurückgewiesen. Die Drittwiderklage gegen die Drittwiderbeklagte zu 2. wird abgewiesen.
Der Beklagte hat die Kosten des zweiten Rechtszugs zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Die Klägerin und der Beklagte haben wechselseitig Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend gemacht, der sich am ... 2005 gegen 14:50 Uhr in Stadt1 an der Kreuzung -/.../-...-Straße ereignet hat und an dem zum einen der rote Pkw X mit dem amtlichen Kennzeichen ... beteiligt war, dessen Eigentümerin und Halterin die Klägerin war, der von dem Ehemann der Klägerin, dem Drittwiderbeklagten zu 1., geführt wurde und der bei der Drittwiderbeklagten zu 2. haftpflichtversichert war, und zum anderen der Pkw Y mit dem amtlichen Kennzeichen ..., dessen Halter, Eigentümer und Fahrer der Beklagte war und der bei der früheren Beklagten zu 2. haftpflichtversichert war. Der Drittwiderbeklagte zu 1. befuhr mit dem Fahrzeug der Klägerin die ...-Allee in südlicher Richtung hin zur ... Der Beklagte zu 1. befuhr die ... in nördlicher Richtung hin zur ... und setzte zum Linksabbiegen in die ... an. Im Bereich der ampelgeregelten Kreuzung kam es zur Kollision, als sich die Fahrwege beider Pkw kreuzten.
Die Klägerin hat zunächst die Verurteilung des Beklagten und der früheren Beklagten zu 2. zur Zahlung von 2.482,36 EUR begehrt, die sich zusammensetzten aus unstreitigem Fahrzeugschaden von 1.400 EUR, unstreitigen Sachverständigenkosten von 266,34 EUR, unstreitigen Verschrottungs- und Abmeldekosten von 233,62 EUR und 17,40 EUR, einer unstreitigen Unkostenpauschale von 25 EUR und der Höhe nach bestrittener Nutzungsausfallentschädigung von 490 EUR. Sie hat darüber hinaus aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns ein Schmerzensgeld von mindestens 1.500 EUR und materiellen Schadensersatz i.H.v. 31,12 EUR geltend gemacht. Nachdem die frühere Beklagte zu 2. zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit 1.185,18 EUR auf den materiellen Schaden der Klägerin und 500 EUR auf das Schmerzensgeld gezahlt hatte, hat die Klägerin die Klage insoweit unter Verwahrung gegen die Kostenlast zurückgenommen und sie zugleich um vorgerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 359,87 EUR erweitert. Der Beklagte hat mit seiner Widerklage und der gegen den Ehemann der Klägerin erhobenen Drittwiderklage zunächst die Verurteilung der Klägerin und des Drittwiderbeklagten zu 1. zur Zahlung eines Schmerzensgelds von mindestens 250 EUR verfolgt. Später hat er darüber hinaus materiellen Schadensersatz i.H.v. 11.492,60 EUR geltend gemacht, der sich zusammensetzt aus einem Fahrzeugschaden i.H.v. 9.280 EUR, Sachverständigenkosten i.H.v. 707,60 EUR, der Höhe nach bestrittener Nutzungsausfallentschädigung i.H.v. 1.475 EUR und der Höhe nach bestrittenen Unkosten i.H.v. 30 EUR. Im zweiten Rechtszug erstreckt der Beklagte zu 1. unter Erweiterung seiner Widerklageanträge die Widerklage auch auf den Haftpflichtversicherer des klägerischen Fahrzeugs, die Drittwiderbeklagte zu 2.
Der Unfall wurde von Frau Z1 polizeilich aufgenommen; auf die Ermittlungsakte 283. 829326. 6 des Regierungspräsidiums Kassel (im Folgenden: EA) wird Bezug genommen. Die polizeiliche Unfallskizze wurde erst am Tag nach dem Unfall gefertigt. In der Ermittlungsakte befinden sich zwei von einer Dolmetscherin für Griechisch übersetzte Erklärungen des Zeugen vom 14.2.2005, der durch den Beklagtenvertreter benannt worden war (Bl. 14 und 16 EA). Der Zeuge gab dort an, dass das Fahrzeug des Beklagten als drittes in einer Reihe von Linksabbiegern in die ... eingebogen sei. Bei der Einfahrt dieses Fahrzeugs in den Kreuzungsbereich habe die für das Fahrzeug maßgebliche Ampel "gelb" gezeigt. In der Erklärung Bl. 14 EA heißt es, dass die Ampel noch im Moment des Zusammenstoßes "gelb" gezeigt habe. In der Erklärung Bl. 16 EA ist hingegen zu lesen, dass die Ampel zwischenzeitlich auf "rot" gewechselt habe. Nur diese Erklärung hat der Zeuge unterschrieben.
Die Klägerin und der Drittwiderbeklagte zu 1. haben behauptet, dass der Drittwiderbeklagte zu 1. bei Grünlicht und mit vorschriftsmäßig...