Entscheidungsstichwort (Thema)

Mitberücksichtigung der "halben Vorfahrt" bei einem Verkehrsunfall

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Verkehrsunfall ist auch für den vorfahrtberechtigten Fahrer nicht unabwendbar, wenn er seinerseits anderen Verkehrsteilnehmern die Vorfahrt gewähren müsste, sich der Unfallstelle aber mit mehr als nur mäßiger Geschwindigkeit nähert.

2. Zur Bestimmung der angemessenen Annäherungsgeschwindigkeit ist auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls abzustellen.

3. Die Überschreitung der angemessenen Annäherungsgeschwindigkeit kann zu einer Mithaftungsquote von 30% führen.

 

Verfahrensgang

LG Frankfurt am Main (Urteil vom 26.07.2016; Aktenzeichen 2-14 O 253/14)

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das am 26.7.2016 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Der Kläger macht restliche Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am ...2014 gegen 17.25 Uhr in Stadt1 ereignete.

Der Kläger ist Halter und Eigentümer des bei dem Unfall beschädigten Pkw PKW1 mit dem amtlichen Kennzeichen ... Mit diesem befuhr der Kläger zum oben genannten Zeitpunkt die Straße "Straße1" in Fahrtrichtung der Straße "Straße2", die die vorerwähnte Straße kreuzt.

Der Beklagte zu 1) war Fahrer und Halter des anderen unfallbeteiligten Fahrzeuges, einem PKW2 mit dem amtlichen Kennzeichen ..., das bei der Beklagten zu 2) am Unfalltag haftpflichtversichert war. Der Beklagte zu 1) befuhr mit dem PKW2 die Straße "Straße2" und wollte an der Kreuzung Straße2/Straße1 geradeaus auf der Straße "Straße2" in Richtung Straße3 weiterfahren. Dort besteht eine Begrenzung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h.

Im Kreuzungsbereich "Straße2/Straße1", in dem dem Kläger gegenüber dem Beklagten zu 1) das Vorfahrtsrecht "rechts vor links" eingeräumt war, kam es zur Kollision der vorgenannten Fahrzeuge dergestalt, dass der klägerische PKW in die Beifahrerseite des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) fuhr, das seinerseits durch den Aufprall versetzt und gedreht wurde. Zur Veranschaulichung wird auf die Unfallstellenzeichnung auf Seite 17 des Gutachtens des Sachverständigen SV1 vom 02.02.2016 Bezug genommen.

Der Kläger machte gegenüber den Beklagten unter Zugrundelegung einer alleinigen Haftung der Beklagten folgende Schäden geltend:

1. Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert: 13.820,00 EUR

2. Sachverständigenkosten: 1.987,72 EUR

3. Nutzungsausfallentschädigung für 21 Tage a 119,- EUR 2.499,00 EUR

4. Abschleppkosten: 208,25 EUR

5. An- und Abmeldekosten (pauschal) 75,00 EUR

6. Kosten Begutachtung Ersatzfahrzeug (fiktiv) 75,00 EUR

7. Verlust an Treibstoff (pauschal) 25,00 EUR

8. Kostenpauschale: 25,00 EUR

Summe: 18.714,97 EUR

Die Beklagte zu 2) regulierte die Schäden vorprozessual nur teilweise. So zahlte sie an den Kläger einen Betrag in Höhe von insgesamt 10.112,84 EUR, der sich aus einem Wiederbeschaffungswert in Höhe von 8.710,08 EUR, der Kostenpauschale in Höhe von 18,75 EUR, Sachverständigenkosten in Höhe von 1.252,76 EUR und Abschleppkosten in Höhe von 131,25 EUR zusammensetzte.

Der Kläger erwarb einen neuwertigen PKW4 und ließ ihn am ...2014 auf sich zu.

Mit seiner Klage hat der Kläger den aus seiner Sicht noch offenen Differenzbetrag in Höhe von 8.602,13 EUR begehrt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass der Unfall für ihn unvermeidbar gewesen sei. Er hat behauptet, er habe sich dem Kreuzungsbereich genähert, seine Geschwindigkeit verringert und sich zunächst nach links vergewissert, dass dort kein anderes Fahrzeug sei und anschließend nach rechts geschaut, um sich zu vergewissern, dass er keinem Verkehr Vorrang zu gewähren habe. Anschließend sei er mit einer Geschwindigkeit von deutlich unter 30 km/h in den Kreuzungsbereich eingefahren. Als er gerade wieder nach vorne geschaut habe, habe er im linken Augenwinkel den Kastenwagen des Beklagten zu 1) erkennen können, der mit hoher Geschwindigkeit - etwa 50 bis 60 km/h - in den Kreuzungsbereich eingefahren sei. Trotz einer von ihm, dem Kläger, sofort eingeleiteten Notbremsung sei es im Kreuzungsbereich zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen.

Der Kläger hat beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 8.602,13 EUR sowie vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 808,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 28.8.2014 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben die Auffassung vertreten, dass zu Lasten des Klägers jedenfalls die Betriebsgefahr und damit ein Mitverursachungsanteil von 25 % zu berücksichtigen sei. Hierzu haben sie behauptet, der Beklagte zu 1) habe sich der Kreuzung mit einer Geschwindigkeit von etwa 30 km/h genähert. Als dieser die Kreuzung bereits nahezu vollständig passiert gehabt habe, sei der Kläger mit hoher Geschwindigkeit von rechts aus der Stra...

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