Leitsatz (amtlich)
1. Der vom Bauherrn mit der Bauüberwachung betraute und diese tatsächlich wahrnehmende Architekt ist für die Verkehrssicherung auf der Baustelle unabhängig davon sekundär zuständig, wie die Bauüberwachungsaufgaben im Architektenvertrag im Einzelnen abgegrenzt sind.
2. Diese sekundäre Verkehrssicherungspflicht des Architekten entfällt nicht dadurch, dass der Bauherr einzelne Bauunternehmer in Bauverträgen gewerkebezogen zu Fachbauleitern bestellt.
3. Zur Verkehrssicherungspflicht des Architekten gehört es, grundlegende und ohne weiteres erkennbare Konstruktionsmängel von Baugerüsten beseitigen zu lassen.
4. Der ein Baugerüst erstellende Rohbauunternehmer und der das Gerüst vor Beginn seiner Arbeiten abbauende Treppenbauunternehmer unterhalten keine "gemeinsame Betriebsstätte" i.S.d. § 106 Abs. 3 Alt. 3 SGB VII.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1; SGB VII § 106 Abs. 3
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten zu 1) wird das am 25.4.2005 verkündete Schlussurteil der 3. Zivilkammer des LG Gießen abgeändert.
Der Beklagte zu 1) wird verurteilt, an den Kläger 8.007,71 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.007,71 EUR seit dem 3.5.2003 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 1) verpflichtet ist, dem Kläger allen zukünftigen materiellen Schaden aus dem Unfall vom 1.8.2001 auf der Baustelle X, ...-straße, hälftig zu ersetzen, soweit der Anspruch nicht auf Sozialversicherungsträger übergeht.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen, die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben zu tragen
- die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers dieser zu 73 %, der Beklagte zu 1) zu 27 %,
- die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1) der Kläger zu 46 %, der Beklagte zu 1) zu 54 %,
- die außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 2) der Kläger.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger zu 46 %, der Beklagte zu 1) zu 54 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Gegenpartei vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der 38 Jahre alte Kläger ist Bauarbeiter, der Beklagte zu 1) (nachfolgend nur noch als Beklagter bezeichnet) Architekt. Der Kläger war als Mitarbeiter eines Treppenbauers, der Fa. A, am 1.8.2001 damit beschäftigt, ein im Treppenloch aufgestelltes Gerüst abzubauen, um Raum für die danach einzubauende Treppe zu schaffen. Der Beklagte, der vom Bauherrn - in streitigem Umfang - mit Bauleitungsaufgaben betraut war, hatte das Gerüst augenscheinlich geprüft und nicht beanstandet. Es brach im Zuge der Demontage zusammen. Der Kläger stürzte deshalb vom Obergeschoss in das Kellergeschoss, rund 6 m tief, und zog sich ganz erhebliche Fußverletzungen zu, an deren Folgen er noch heute leidet; insb. kann er seinen bisherigen Beruf nicht mehr ausüben. Er nimmt den Beklagten auf materiellen Schadensersatz i.H.v. 2.015,41 EUR und auf Zahlung eines angemessenen, 7.000 EUR nicht unterschreitenden Schmerzensgeldes in Anspruch; außerdem begehrt er die Feststellung der Verpflichtung des Beklagten, ihm materielle Zukunftsschäden aus dem streitgegenständlichen Unfall zu ersetzen.
Zur Darstellung der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug.
Das LG hat die Klage gegen den Beklagten zu 2) durch Teilurteil abgewiesen und der gegen den Beklagten zu 1) gerichteten Klage nach einer Beweisaufnahme durch Schlussurteil stattgegeben.
Der Beklagte zu 1) rügt mit seiner gegen das Schlussurteil gerichteten Berufung, das LG habe die Beweislast zum Umfang seiner Bauleitungsaufgaben verkannt. Fachbauleiter für die Treppen- und damit auch für die Gerüst-Demontagearbeiten sei die Fa. B. GmbH gewesen. Fachbauleiter für die Rohbauarbeiten sei unstreitig die Fa. C GmbH gewesen; auf die Notwendigkeit weiterer Substantiierung und eines Beweisangebots hierzu hätte das LG hinweisen müssen. Die Bestellung der Fachbauleiter müsse zu einer vollständigen Entlastung des Beklagten führen. Das LG habe die Überwachungspflichten des Architekten überspannt. Die Beweiswürdigung des LG zur Standfestigkeit des Gerüstes sei fehlerhaft.
Die Treppenlochgerüste seien in allen 8 Häusern gleich konstruiert und insb. zu jeder Geschossdecke horizontal abgestützt gewesen (Beweis: Zeugen Z1, Z2); ihre Standsicherheit folge schon daraus, dass sie - was unstreitig ist - bis zur Demontage gehalten hätten. In jedem Falle reduziere sich der Anspruch das Klägers durch eigenes Mitverschulden sowie das seines Arbeitgebers und seiner Kollegen.
Der Beklagte beantragt, das landgerichtliche Schlussurteil abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Der Kläger b...