Verfahrensgang
LG Fulda (Urteil vom 03.08.2022; Aktenzeichen 2 O 4/21) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 03.08.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Fulda - Az.: 2 O 4/21 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.
Das Berufungsurteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts Fulda sind vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen des Kaufs eines angeblich mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehenen Kraftfahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin kaufte am 08. Juli 2019 von einem gewerblichen Kraftfahrzeughändler einen gebrauchten VW Sharan (Erstzulassung: 25. Juli 2016), 2.0, 110 kW, mit einer Laufleistung von 50.680 km zu einem Preis von 25.700,- EUR (vgl. Bl. 38 Bd. I d.A.).
Das Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Euronorm 6) ausgestattet. Bei Motoren dieser Baureihe wird zur Verringerung der Stickoxidemissionen ein Teil des Abgases in das Ansaugsystem des Motors zurückgeführt und nimmt erneut an der Verbrennung teil. Unterhalb und oberhalb bestimmter Außentemperaturen wird diese Abgasrückführung herabgesetzt (Thermofenster). Außerdem findet eine Abgasnachbehandlung in Form der Selective Catalytic Reduction (SCR) statt. Dabei wird eine künstliche Harnstofflösung (Handelsname "AdBlue") aus einem Tank in einen Katalysator eingespritzt. In dem SCR-Katalysator wird die dem Abgas beigemischte Harnstofflösung bei hinreichend hohen Temperaturen in Ammoniak umgewandelt, der mit Stickoxiden im Wesentlichen zu Stickstoff und Wasser reagiert, was unter bestimmten physikalischen Bedingungen die weitgehende Umwandlung von Stickoxid-Rohemissionen in ungefährliche Stoffe ermöglicht.
Ursprünglich war in der Steuerungssoftware von Motoren der Baureihe EA 288 eine so genannte Akustikfunktion inklusive Fahrkurve implementiert. Die Fahrkurvenerkennung bewirkte, dass während einer Prüfstandsfahrt die im realen Straßenbetrieb bei Erreichen der vollen Betriebstemperatur des SCR-Katalysators von 200 Grad Celsius erfolgende Absenkung der Abgasrückführungsrate unterbunden wurde; außerdem wurde mit der Einspritzung von Harnstofflösung in den SCR-Katalysator schon bei einer Katalysatortemperatur von etwa 130 Grad Celsius begonnen, während dies im realen Straßenbetrieb erst bei einer Temperatur von etwa 150 Grad Celsius erfolgt. Über diese Fahrkurvenerkennung informierte die Beklagte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) mit E-Mail vom 1. Oktober 2015 und in einem Gespräch am 2. Oktober 2015. Entsprechend äußerte sich die Beklagte in einem an das KBA gerichteten Schreiben vom 29. Dezember 2015. Darin teilte sie überdies mit, dass die Akustikfunktion inklusive Fahrkurve aus allen neuen mit SCR-Technologie ausgestatteten Aggregate-Projekten seit November 2015 entfernt worden sei und generell ab dem Modellwechseljahr der Kalenderwoche 22 des Jahres 2016 bei allen EA-288 Fahrzeugen (SCR- wie NSK-Technologie) nicht mehr zu verwenden. Zugleich übersandte sie eine mit der Behörde inhaltlich abgesprochene Applikationsrichtlinie vom 18. November 2015. Darin heißt es unter anderem (Bl. 212 Bd. I d.A.):
"Anwendungsbeschreibung:
SCR: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Erkennung des Precon und NEFZ, um die Umschaltung der Rohemissionsbedatung (AGR-High/Low) streckengesteuert auszulösen (bis Erreichung der SCR-Arbeitstemperatur und OBD-Schwellwerte).
Applikationsrichtlinie (Serienfreigaben):
SOP [= Start of Production] vor KW22/16 (für SOP, Modellpflege): Fahrkurven dürfen nicht zur Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte genutzt werden. Diese müssen durch Ausbedatung oder Software-Änderung entfernt werden. Möglicherweise notwendige Umschaltungen zur Einhaltung der Emissions- und OBD-Grenzwerte müssen auf Basis physikalischer Randbedingungen erfolgen.
SOP ab KW22/16 (für SOP, Modellpflege): Bei neuen Freigaben sind die Fahrkurven aus der Software entfernt. Umschaltungen oder die Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents muss auf Basis physikalischer Randbedingungen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für Roh- und Endrohremissionen erfolgen."
Für Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs wurde kein emissionsbedingter Rückruf durch das Kraftfahrt-Bundesamt angeordnet.
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte habe das streitgegenständliche Fahrzeug bewusst und gewollt mit unzulässigen Abschalteinrichtungen ausgestattet. Unzulässig sei das nicht zum Bauteilschutz erforderliche Thermofenster, das bewirke, dass die Abgasrückführung bei Außentemperaturen unter 10 Grad Celsius und über 32 Grad Celsius herabgesetzt werde. Die in der Motorsteuerungssoftware implementierte Zykluserken...