Leitsatz (amtlich)
1. Fußgängerwege sind innerorts grundsätzlich zu räumen und zu streuen, wenn sie nicht nur eine Freizeit-, sondern auch eine Erschließungsfunktion haben (OLG Hamm v. 21.12.1999 - 9 U 160/99, OLGReport Hamm 2001, 244 [245]; OLG Düsseldorf OLGR 1993, 257; entgegen OLG Frankfurt v. 20.4.1990 - 25 U 256/89, OLGReport Frankfurt 1992, 38 [39]; OLG Frankfurt v. 21.5.1992 - 15 U 297/90, OLGReport Frankfurt 1992, 91 [93]); in der Regel sollen innerorts alle Anwesen zu Fuß sicher zu erreichen sein (OLG Düsseldorf v. 23.10.1997 - 18 U 24/97, OLGReport Düsseldorf 1998, 284 [285]).
2. Zu den Anforderungen an die Bestimmtheit einer die Streupflicht auf die Anlieger delegierten Satzungsregelung.
Verfahrensgang
LG Limburg a.d. Lahn (Urteil vom 12.02.2003; Aktenzeichen 2 O 406/02) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 12.2.2003 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Limburg abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.250 Euro nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.4.2002 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten vor Allem um die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger für bei einem Sturz auf schneeglatter Fahrbahn erlittene Verletzungen ein Schmerzensgeld zu zahlen.
Die Beklagte beruft sich insb. darauf, sie habe den Winterdienst mit ihrer Straßenreinigungssatzung (Bl. 43 ff. d.A.) auf die Anlieger übertragen. Die Satzung enthält folgende Bestimmungen:
"§ 1 Übertragung der Reinigungspflicht
a) Die Verpflichtung zur Reinigung der öffentlichen Straßen nach § 10 Abs. 1-3 des Hessischen Straßengesetzes wird nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen auf die Eigentümer und Besitzer der durch öffentliche Straßen erschlossenen bebauten oder unbebauten Grundstücke übertragen.
b) (...)
§ 2 Gegenstand der Reinigungspflicht
(...)
c) Gehwege im Sinne dieser Satzung sind die für den Fußgängerverkehr entweder ausdrücklich oder ihrer Natur nach bestimmten Teile der Straße, ohne Rücksicht auf ihren Ausbauzustand und auf die Breite der Straße (z.B. Bürgersteige, unbefestigte Gehwege, zum Gehen geeignete Randstreifen, Bankette, Sommerwege) sowie räumlich von einer Fahrbahn getrennte selbständige Fußwege.
(...)
§ 10 Schneeräumung
a) Neben der allgemeinen Straßenreinigungspflicht (§§ 6 - 9) haben die Verpflichteten bei Schneefall die Gehwege vor ihren Grundstücken (§ 7) in einer solchen Breite von Schnee zu räumen, dass der Verkehr nicht mehr als unvermeidbar beeinträchtigt wird.
(...)
§ 11 Beseitigung von Schnee- und Eisglätte
(...)
a) Bei Schneeglätte braucht nur die nach § 10 zu räumende Fläche abgestumpft zu werden."
Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Beklagte sei infolge wirksamer Übertragung ihrer Räum- und Streupflicht auf die Anlieger nicht passiv legitimiert. Mit der Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
II. Die Berufung des Klägers ist zulässig und teilweise begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schmerzensgeldanspruch in ausgesprochener Höhe, weil er sich bei einem Sturz verletzt hat, der auf einer Verletzung der die Beklagte treffenden Streupflicht beruhte (1.). Unbegründet ist die Berufung bezüglich des angeblichen Vermögensschadens (2.) und der Feststellung (3.).
A. Die Beklagte schuldet dem Kläger ein Schmerzensgeld i.H.v. 1.250 Euro, weil sie ihre Streupflicht verletzt hat (Art. 34 GG i.V.m. §§ 839, 847 BGB).
1. Die Vernehmung der Zeugin X hat zur Überzeugung des Senats ergeben, dass der Kläger am 27.12.2001 auf der schneeglatten Fahrbahn des ...-wegs, einer Gemeindestraße, gestürzt ist. Die Beklagte hatte dort unstreitig seit dem 20.12.2001 keinen Schnee mehr geräumt und - ebenso unstreitig - nicht mit abstumpfenden Mitteln gestreut. Aus dem ärztlichen Attest des Y vom 3.7.2002 (Bl. 6 f. d.A.), das der Senat mit Zustimmung der Parteien urkundsbeweislich verwertet hat, ergibt sich, dass der Kläger durch diesen Sturz Prellungen des Bewegungsapparates und mutmaßlich einen Rippenbruch erlitten hat, Verletzungen, deren Heilung sich bei ihm angesichts seines gesegneten Alters länger hinzog. Für darüber hinaus gehende Verletzungen ist der Kläger beweisfällig geblieben; einzelne von ihm angegebene Beschwerden sind ausweislich des Attestes zweifelhaft und nicht auf den streitgegenständlichen Unfall zurück zu führen.
2. Rechtsirrig ist die Ansicht der Beklagten, sie habe den ...-weg angesichts seiner untergeordneten Verkehrsbedeutung weder räumen noch streuen müssen.
a) Hinsichtlich des Umfangs der Streupflicht ist zwischen Fahrbahnen und Fußgängerwegen zu differenzieren (BGH VersR 1966, 90 [92]). Letztere sind innerorts grundsätzlich zu räumen und zu streuen, wenn sie nicht nur eine Freizeit-, sondern auch eine Erschließungsfunktion haben (OLG Hamm v. 21....