Leitsatz (amtlich)
Die Fachinformation eines Arzneimittels gem. § 11a AMG ist von der Legitimationswirkung des Verwaltungsakts über die Zulassung des Arzneimittels umfasst. Denn der gem. § 22 Abs. 7 S. 1 AMG im Zulassungsverfahren vorzulegende Entwurf der Fachinformation ist Gegenstand der behördlichen Prüfung. Wegen der Verwendung der durch die Zulassungsbehörde gebilligten Fachinformation kann deshalb Unterlassung auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage (hier: wegen Irreführung über die wissenschaftliche Erwiesenheit einer Äquivalenzbehauptung) nicht verlangt werden (vgl. BGH GRUR 2005, 778 - Atemtest).
Normenkette
UWG §§ 3, 4 Nr. 11, § 5; HWG § 3; AMG §§ 8, 11a, 22, 25, 29
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 08.03.2012; Aktenzeichen 416 HKO 3/12) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des LG Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 8.3.2012, Geschäfts-Nr. 416 HKO 3/12, abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 120 % des nach dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, sofern nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leisten.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten auf wettbewerbsrechtlicher Grundlage Unterlassung von Angaben in der Fachinformation des Arzneimittels "X.® 50 LD50-Einheiten" (nachfolgend bezeichnet als X.® 50).
Die Klägerin ist Inhaberin der deutschen Zulassung für das Arzneimittel "B.®" (Wirkstoff Botulinumtoxin Typ A). Sie hat die Fa. P.-A. GmbH beauftragt, ihre Interessen im Zusammenhang mit diesem Arzneimittel in Deutschland wahrzunehmen. B.® ist u.a. zugelassen für die Behandlung von Blepharospasmus (krampfartiger Lidschluss), zervikale Dystonie (Torticollis spasmodicus; "Schiefhals") und fokaler Spastizität des Handgelenks und der Hand bei erwachsenen Schlaganfallpatienten.
Die Beklagte zu 1. ist Inhaberin der Zulassung für das Arzneimittel "X.®100 LD50-Einheiten" (nachfolgend bezeichnet als X.® 100), dessen Wirkstoff Botulinumtoxin Typ A ist. Die Beklagte zu 1. hat ferner im Wege des sog. dezentralen Verfahrens, innerhalb dessen Deutschland zusammen mit weiteren Staaten (darunter Großbritannien) als Reference Member State beteiligt war, durch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Zulassung für das Arzneimittel "X.® 50 LD50-Einheiten" (nachfolgend bezeichnet als X.® 50) erhalten (Anlage K 4), dessen Wirkstoff ebenfalls Botulinumtoxin Typ A ist. X.® 50 ist zugelassen für die "symptomatische Behandlung von Blepharospasmus, zervikaler Dystonie mit überwiegend rotatorischer Komponente (Torticollis spasmodicus) sowie Spastik der oberen Extremitäten nach Schlaganfall mit Handgelenkbeugung und gefausteter Hand bei Erwachsenen". Die Beklagte zu 2. hat bis Juni 2004 B.® in Deutschland für die Klägerin vertrieben; seit Juli 2005 vertreibt sie X.® 100. X.® 50 wird in Deutschland seit dem 15.1.2012 vertrieben.
In der Fachinformation für X.® 50 für Großbritannien heißt es u.a. (Anlage K 3, dort Ziff. 4.2):
"Comparative clinical study results suggest that X. and the comparator product containing conventional Botulinum toxin type A complex (900 kD) are of equal potency when used with a dosing conversion ratio of 1:1."
In der deutschen Fachinformation für"X.® 50" (Stand August 2011) heißt es u.a. (Ziff. 4.2):
"Aufgrund der unterschiedlichen LD50-Testmethoden sind X.-Einheiten spezifisch für X. und daher nicht auf andere Botulinumtoxin-Präparateübertragbar."
sowie
"Ergebnisse vergleichender Studien legen nahe, dass X. und das Vergleichspräparat mit herkömmlichem Botulinum-Toxin-Typ-A-Komplex (900 kDa) äquipotent sind, wenn sie in einem Umrechnungsverhältnis von 1:1 dosiert werden."
In der deutschen Fachinformation für"X.® 50" (Stand Dezember 2011) heißt es u.a. (Ziff. 4.2):
"Ergebnisse vergleichender Studien weisen auf eine Äquipotenz von X. und dem Vergleichspräparat mit herkömmlichem Botulinum-Toxin-Typ-A-Komplex (900 kDa) hin, wenn sie in einem Umrechnungsverhältnis von 1:1 dosiert werden."
In der Fachinformation mit dem Stand April 2012 heißt es nunmehr u.a.:
[Ziff. 4.2]
"Für detaillierte Informationen zu klinischen Studien mit X. im Vergleich zum herkömmlichen Botulinumtoxin Typ A-Komplex (900 kD) s. Abschnitt 5.1."
[Ziff. 5.1]
"Ergebnisse klinischer Studien
Nichtunterlegenheit der Wirksamkeit von X. zum Vergleichsprodukt, welches den herkömmlichen Botulinumtoxin Typ A Komplex OnabotulinumtoxinA (900 kD) enthält, wurde in zwei Phase III Vergleichsstudien nach Einmalgabe gezeigt, eine davon in Patienten mit Blepharospasmus (Studie MRZ 60201-0003; 300 Patienten), die andere in Patienten mit zervikaler Dystonie (Studie MRZ 60201-0013; 463 Patienten). Die Studienergebnisse weisen auch darauf hin, dass X. und dieses Vergleichspräparat ein ä...