Leitsatz (amtlich)
Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG i.V.m. Art. 90 lit. f) der Richtlinie 2001/83/EG darf ein für die Behandlung von Kopflausbefall zugelassenes Arzneimittel auch dann nicht unter Verwendung eines Testergebnisses der Stiftung Warentest beworben werden, wenn die Werbung keine (auch nur mittelbare) Gesundheitsgefährdung verursacht.
Im durch die Richtlinie 2001/83/EG gemeinschaftsrechlich vollharmonisierten Bereich der Arzneimittelwerbung ist für eine nach Maßgabe des Art. 12 Abs. 1 GG vorgenommene verfassungskonforme Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG als konkreter Gefährdungstatbestand kein Raum. Nach der Rechtsprechung des BVerfG (Beschl. v. 22.10.1986 - 2 BvR 197/83 - Solange II; Beschl. v. 7.6.2000 - 2 BvL 1/97 - Bananenmarktordnung) ist derzeit sekundäres Gemeinschaftsrecht nicht am Maßstab der Grundrechte zu prüfen. Auf der Ebene der Fachgerichte tritt wegen des aus Art. 19 Abs. 4 GG folgenden Gebots des effektiven Rechtsschutzes an die Stelle der Prüfung deutscher Grundrechte eine Grundrechtsprüfung nach dem Maßstab des europäischen Rechts.
Die Auslegung des § 11 Abs. 1 Nr. 2 HWG, Art. 90 lit. f) der Richtlinie 2001/83/EG als abstrakter Gefährdungstatbestand ist mit dem gem. Art. 6 Abs. 2 EUV verbindlichen höherrangigen Gemeinschaftsrecht - insbesondere dem europarechtlichen Grundrecht der Berufsfreiheit sowie dem Recht auf freie Meinungsäußerung gem. Art. 10 EMRK - vereinbar.
Normenkette
UWG §§ 3, 4 Nr. 11; HWG § 11 Abs. 1 Nr. 2; GG Art. 12 Abs. 1; Richtlinie 2001/83/EG Art. 90 lit. f); EUV Art. 6 Abs. 2; EMRK Art. 10
Verfahrensgang
LG Hamburg (Urteil vom 23.12.2008; Aktenzeichen 312 O 751/08) |
Tenor
Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des LG Hamburg, Zivilkammer 12, vom 23.12.2008, Geschäfts-Nr. 312 O 751/08 abgeändert.
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens 250.000 EUR; Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre) verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken außerhalb der Fachkreise für das Arzneimittel "G. forte" mit einer Bewertung der Stiftung Warentest zu werben und/oder werben zu lassen, insbesondere wenn dies durch die Verwendung des folgenden Logos oder wie in der diesem Urteil als Ausdruck beigefügten Website http://www.kopflaus.de/stiftung-warentest/geschieht.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Gründe
I. Die Parteien streiten im Eilverfahren um die heilmittelwerberechtliche Zulässigkeit werblicher Angaben.
Die Antragstellerin produziert und vertreibt seit 2007 das Medizinprodukt E. zur Behandlung des Kopfhaares bei Kopflausbefall. Es enthält das Silikonöl Dimeticon, welches physikalisch wirkt, indem es sich in den Atemöffnungen der Läuse und Nissen absetzt und hierdurch deren Atmung und Wasserhaushalt so stark stört, dass diese absterben (Anlage AST 1). Die Antragsgegnerin vertreibt seit über drei Jahrzehnten das insektizidhaltige Arzneimittel "G. forte" zur "schnellen und gründlichen Vernichtung von Läusen und Nissen" (Anlage AST 3).
Im Heft 09/2008 veröffentlichte die Stiftung Warentest unter dem Titel "Lausige Zeiten" einen Artikel über Mittel gegen Kopfläuse (Anlage AST 4). Darin wurde nach Maßgabe einer Skala mit den Bewertungsstufen "geeignet", "auch geeignet", "mit Einschränkungen geeignet" und "wenig geeignet" "G. forte" als "geeignet", E. als "mit Einschränkungen geeignet" eingestuft. Die Bewertungen nahm die Stiftung Warentest nach ihren Regeln der Arzneimittelbewertung vor, in welchen es u.a. heißt (Anlage AST 5):
"Basis unserer Arzneimittelbewertungen ist die veröffentlichte internationale und nationale Literatur. Anhand von allgemein anerkannten und aktuellen Werken der klinisch-pharmakologischen und medizinisch-therapeutischen Standardliteratur wurde die Eignung der jeweiligen Arzneimittel für die Indikationen beurteilt, die der Hersteller für sein Mittel beansprucht. Die Bewertung wurde auch mit Blick auf die übrigen in dem jeweiligen Anwendungsbereich angebotenen Arzneimittel vorgenommen und daraufhin, ob die Behandlung mit einem Arzneimittel überhaupt sinnvoll ist. Zusätzlich zur Standardliteratur wurden veröffentlichte und geeignete klinische Studien ausgewertet, um die Aktualität der Bewertung sicherzustellen. Diese "Primärliteratur" konnte aber nur dann genutzt werden, wenn die Studien in anerkannten medizinischen Zeitschriften veröffentlicht wurden, in denen vor der Veröffentlichung ein Expertengremium (Review Board) die Qualität der Publikation geprüft hat."
Die Antragsgegnerin verwendet die Bewertung der Stiftung Warentest auf ihrem im Internet für jedermann abrufbaren Portal www.kopflaus.de in Form des von der Stiftung gegen Zahlung einer Bearbeitungsgebühr zur Verfügung gestellten "Logos mit Qualitätsu...