Leitsatz (amtlich)

Ohne sachverständige Begutachtung kann ein Gericht keine Namensänderung und keine Veränderung der Geschlechtszugehörigkeit nach dem Transsexuellengesetz aussprechen. Das von dem Gesetz vorgeschriebene Einholen von zwei Sachverständigengutachten ist nicht verfassungswidrig und mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar.

 

Verfahrensgang

AG Dortmund (Aktenzeichen 306 III 15/16)

 

Nachgehend

BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom 17.10.2017; Aktenzeichen 1 BvR 747/17)

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die gemäß §§ 9 Abs. 3, 4 Abs. 1 TSG, 58 ff FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt Beschwerde ist nicht begründet. Das AG hat zu Recht die Anträge des Beteiligten zu 1) auf Änderung des Vornamens gemäß § 1 TSG und auf Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit gemäß § 8 TSG zurückgewiesen.

Vor den nachfolgenden Ausführungen merkt der Senat erläuternd an, dass der Beteiligte zu 1) in Rubrum und Tenor dieses Beschlusses als männliche Person bezeichnet ist, weil er angesichts des Ergebnisses dieses Verfahrens, mit dem seine Anträge zurückgewiesen werden, weiterhin in rechtlicher Hinsicht ein Mann ist und personenstandsrechtlich weiterhin die ihm von seinen Eltern gegebenen männlichen Vornamen trägt. Er erreicht seine Ziele nicht, den von ihm gewählten Vornamen "Nicole" rechtsverbindlich zu führen und rechtsverbindlich als dem weiblichen statt dem männlichen Geschlecht zugehörig angesehen zu werden. Da der Senat aber das nach Wertung der eingereichten Unterlagen ernst gemeinte Anliegen des Beteiligten zu 1), eigenes weibliches Empfinden und Selbstbild zum Ausdruck bringen zu können, nicht ungewürdigt lassen will, soweit dies im Rahmen der wirksam gesetzten gesetzlichen Grenzen zulässig ist, bezeichnet er den Beteiligten zu 1) in den nachfolgenden Ausführungen nicht als "Antragsteller", sondern als "Antragstellerin" oder als "antragstellende Person". Eine entsprechende Wortwahl und Bezeichnung in Rubrum und Tenor, die für den Rechtsgehalt der Entscheidung maßgeblich sind, ist wegen der Erfolglosigkeit der Anträge ausgeschlossen (vgl. dagegen zur Rechtslage bereits nach erfolgreicher Vornamensänderung BVerfG FamRZ 2012, 188). Der rechtliche Gehalt und die Gründe für die Zurückweisung der Beschwerde werden durch die das Vorbringen der Antragstellerin und ihr seit einigen Jahren im Alltagsleben geübtes Auftreten zur Kenntnis nehmende Wortwahl der Beschlussgründe nicht berührt.

Voraussetzung für die von der Antragstellerin begehrte Änderung des Vornamens und die Feststellung nach § 8 TSG ist gemäß §§ 4 Abs. 3, 9 Abs. 3 S. 1 TSG die Einholung von zwei Sachverständigengutachten zu der Frage, ob die Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG erfüllt sind. Da die Antragstellerin jedoch die Begutachtung ausdrücklich verweigert und hieran auch für das Beschwerdeverfahren festhält, kann weder die Änderung des Vornamens noch die begehrte Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit ausgesprochen werden. Die ausführliche Darstellung der Antragstellerin, dass und warum bei ihr die gesetzlichen Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG erfüllt seien, vermag die vom Gesetzgeber als zwingende Voraussetzung einer antragsentsprechenden Sachentscheidung normierte Einholung von zwei Sachverständigengutachten nicht zu ersetzen und macht sie auch nicht entbehrlich. Die für die Verfahren nach dem TSG zuständigen Gerichte können und dürfen danach die Beurteilung und gegebenenfalls Bejahung der Voraussetzungen der §§ 1 Abs. 1 Nrn. 1, 2, 8 Abs. 1 Nr. 1 TSG nicht allein aufgrund einer Auseinandersetzung mit der - notwendig auch zielorientierten - eigenen Sachdarstellung und Ich-Einschätzung der antragstellenden Person vornehmen, sondern nur nach besonderer sachverständiger Begutachtung. Die Gutachten müssen zu der Frage Stellung nehmen, ob sich das Zugehörigkeitsempfinden der antragstellenden Person mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr ändern wird und ob diese seit mindestens drei Jahren unter dem Zwang steht, ihren transsexuellen Vorstellungen entsprechend zu leben.

Entgegen der ausführlich dargelegten Auffassung der Antragstellerin ist eine andere Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen der §§ 4 Abs. 3, 9 Abs. 3 S. 1 TSG nicht angezeigt. Der Senat gelangt dabei aufgrund eigener Auseinandersetzung mit dem gesamten erst- und zweitinstanzlichen Vorbringen der Antragstellerin einschließlich der umfangreichen vorgelegten Anlagen und aufgrund eigener Wertung der Rechtslage wie schon das AG zu dem Ergebnis, dass die in den §§ 4 Abs. 3, 9 Abs. 3 S. 1 TSG zwingend vorgeschriebene Einholung von Sachverständigengutachten unter keinem in Betracht kommenden Gesichtspunkt verfassungswidrig ist oder gegen die EMRK verstößt. Dies gilt sowohl für das Verfahren auf Namensänderung nach § 1 TSG als auch für das Verfa...

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