Leitsatz (amtlich)
1. Ein Anscheinsbeweis zu Lasten des Linksabbiegers kann ausscheiden, wenn der Linksabbieger - wie hier nicht - einen Vorfahrtsverzicht nach § 11 Abs. 3 Hs. 2 StVO darlegt und beweist (im Anschluss an OLG Hamm Beschl. v. 24.7.2018 - 7 U 35/18, BeckRS 2018, 33853).
2. An das Vorliegen eines Vorfahrtsverzichts sind strenge Anforderungen dahin zu stellen, dass der Vorfahrtsberechtigte den Verzichtswillen in unmissverständlicher Weise zum Ausdruck bringen muss, wobei bereits geringste Zweifel über das Ergebnis einer Verständigung zu Lasten des Wartepflichtigen gehen (im Anschluss an OLG Hamm Beschl. v. 24.7.2018 - 7 U 35/18, BeckRS 2018, 33853).
3. Ein Vorfahrtsverzicht ist bereits unschlüssig dargelegt, wenn nur eine starke Verlangsamung des vorfahrtsberechtigten Fahrzeugs und die Betätigung dessen Lichthupe, die nach § 16 Abs. 1 StVO anderen Zwecken dient, vorgetragen wird (in Fortschreibung zu BGH Urt. v. 15.2.1977 - VI ZR 71/76, NJW 1977, 1057).
4. Die Betriebsgefahr des geradeaus fahrenden Fahrzeugs tritt regelmäßig - so auch hier - hinter den Verursachungs- und Verschuldensbeiträgen des Linksabbiegers und hinter der Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zurück (im Anschluss an BGH Urt. v. 11.1.2005 - VI ZR 352/03, r+s 2005, 213; OLG Hamm Beschl. v. 21.6.2021 - 7 U 41/21, BeckRS 2021, 54315).
Normenkette
StVG § 17; StVO § 9 Abs. 3 S. 1, § 11 Abs. 3 Hs. 2, § 16 Abs. 1
Tenor
In dem Rechtsstreit ist beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das am 03.12.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Bielefeld nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.
Es besteht für die Klägerin Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.
Gründe
Dies beruht auf folgenden Erwägungen:
I. Die Berufung der Klägerin verspricht offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Das Urteil des Landgerichts beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere für die Klägerin günstigere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete Klage abgewiesen, da die Klägerin für die Folgen des Verkehrsunfalls vom 22.11.2020 alleine einzustehen hat.
Die Einwendungen der Klägerin, bezüglich derer zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Berufungsbegründung (Bl. 32 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Gerichtsakte, im Folgenden: eGA II-32 ff.) verwiesen wird, greifen im Ergebnis nicht durch.
1. Die Beklagten haften der Klägerin nicht als Gesamtschuldner gemäß § 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG für die Unfallfolgen.
Der Unfall ereignete sich zwar bei dem Betrieb des von der Beklagten zu 1) gehaltenen und gesteuerten Fahrzeugs, das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war.
Ein Fall höherer Gewalt i.S.d. § 7 Abs. 2 StVG, der eine Haftung ausschließen würde, liegt ersichtlich nicht vor.
Der Unfall war auch für keinen der Unfallbeteiligten ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG. Die Klägerin beruft sich auf eine Unabwendbarkeit des Unfalls für den Zeugen A bereits nicht.
Zugunsten der Klägerin kann darüber hinaus angenommen werden, dass der Unfall auch für die Beklagte zu 1) kein unabwendbares Ereignis darstellte.
2. Die gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG vorzunehmende Abwägung der Verursachungsbeiträge führt nämlich jedenfalls zu dem Ergebnis, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs allein für den Unfall verantwortlich zeichnet.
Im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander hängt die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, wie weit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die Abwägung ist aufgrund aller festgestellten, d.h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben. In erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben. Ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (vgl. BGH Urt. v. 15.5.2018 - VI ZR 231/17, NJW 2018, 3095 Rn. 10). Darüber hinaus ist die konkrete Betriebsgefahr der beteiligten Kraftfahrzeuge von Bedeutung. Die Umstände, die die konkrete Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs erhöhen, insbesondere also dem anderen zum Verschulden gereichen, hat im Rahmen der nach § 17 StVG vorzunehmenden Abwägung jeweils der Unfallgegner zu beweisen (vgl. Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 17 StVG [Stand: 01.12.2021] Rn. 78).
a) Dem Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, dem Zeugen A, ist ein Verstoß gegen § 9 Abs. 3 Satz 1 StVO zur Last zu legen.
Nach dieser Vorschrift muss, wer nach links abbiegen will, entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Sofern der Linksabbieger seiner hiernach bestehenden Wartepflicht nicht genügt und es deshalb zu einem Unfall...