Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrzeugkaufvertrag: (Differenz-)Schadenersatzanspruch auf Grund der Implementierung eines Thermofensters und behaupteter weiterer unzulässiger Abschalteinrichtungen

 

Leitsatz (amtlich)

1. In den USA gewonnene Erkenntnisse können schon wegen der unterschiedlichen Grenzwerte und rechtlichen Rahmenbedingungen nicht ohne Weiteres auf den europäischen Markt übertragen werden (vgl. u.a. OLG Köln, Urteil vom 11. April 2019, 3 U 67/18). (Rn. 16)

2. Der Hinweis auf Diskrepanzen der Messwerte zwischen RDE und NEFZ genügt bei Fahrzeugen, die die Euronorm 5 erfüllen müssen, als greifbarer Anhaltspunkt für eine Manipulationssoftware nicht (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021, VI ZR 128/20). (Rn. 21)

3. Das bloße Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines sog. Thermofensters ist nicht geeignet ist, den Vorwurf der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zu begründen. (Rn. 24)

4. Offen bleiben kann, ob aufgrund der Verwendung eines sog. Thermofensters die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV erfüllt sind, wenn ein Differenzschaden nicht feststellbar ist. (Rn. 35)

 

Normenkette

BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGV 715/2007 Art. 5 Abs. 2 S. 2a; ZPO § 287

 

Verfahrensgang

LG Münster (Aktenzeichen 017 O 245/22)

 

Tenor

Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Der Kläger erhält Gelegenheit, hierzu innerhalb von vier Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

 

Gründe

I. Nach vorläufiger Bewertung hat die zulässige Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz in Zusammenhang mit dem Kaufvertrag vom 27.05.2015 über den Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeugs Audi Q5 quattro, 3,0 l-TDI-Dieselmotor, 176 kW, Euronorm 5, Erstzulassung 26.04.2012 mit einem Kilometerstand von 125.000 km für 29.200 EUR, in dem - inzwischen unstreitig - ein von der Beklagten entwickelter und hergestellte Motor des Typs EA896 Gen1 verbaut ist.

1) Berufungsantrag zu 1.: Zahlung von Schadensersatz in Höhe 9.974,95 EUR (Kaufpreis abzüglich Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs

Der Berufungsantrag zu 1. ist unbegründet.

a) Anspruch aus§§ 826,31 BGB

Das Klagebegehren folgt nicht aus §§ 826, 31 BGB.

aa) "schadstoffmindernden Aufwärmstrategie", "Drosselung der AdBlue-Einspritzung", "Rollenprüfstandserkennung", AECD-Steuergerät und Lenkwinkelerkennung

Soweit der Kläger geltend macht, die Motorsteuerung des von der Beklagten entwickelten und hergestellten Motors verfüge über unzulässige Abschalteinrichtungen in Form einer "schadstoffmindernden Aufwärmstrategie", einer "Drosselung der AdBlue-Einspritzung", einer "Rollenprüfstandserkennung", einer Leistungsreduzierung über das AECD-Steuergerät (Auxilliary Emmission Control Device) und einer Lenkwinkelerkennung, die nur im Prüfstand aktiv seien, um den Schadstoffausstoß zu reduzieren, während die Schadstoffminderung im Straßenbetrieb abgeschaltet werde, fehlt es an substantiiertem Vortrag zu diesen von der Beklagten bestrittenen Techniken.

(1) Das Landgericht ist insoweit zu Recht von einem Vorbringen "ins Blaue hinein" ohne greifbare Anhaltspunkte ausgegangen, das keine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens rechtfertigt. Dies gilt auch bei der gebotenen Zurückhaltung bei der Annahme willkürlicher Darlegungen (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2020, VIII ZR 57/19, juris Rn. 8; Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 22), die das Landgericht zutreffend zugrunde gelegt hat und die auch Maßstab für die Beurteilung durch den Senat ist.

"Greifbare Anhaltspunkte" liegen nicht schon dann vor, wenn der Kläger die behauptete Strategie beschreibt. Notwendig sind vielmehr Erkenntnisse, die eine gewisse Belastbarkeit und einen Bezug zum konkreten Sachverhalt aufweisen und die beispielsweise aufgrund von behördlichen Maßnahmen oder durch Untersuchungen vergleichbarer Fahrzeugtypen gewonnen wurden. Denn ansonsten könnte ein Kläger eine Beweiserhebung über einen Sachverhalt erreichen, der sich letztlich auf nicht mehr gründet als einen Generalverdacht gegen sämtliche Fahrzeuge, die mit einem von der Beklagten entwickelten und produzierten Dieselmotor ausgestattet sind.

(2) Unstreitig hat sich das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) seit Bekanntwerden des sog. VW-Dieselskandals intensiv auch mit von der Beklagten entwickelten 3,0 l- und 4,2 l-Motoren befasst. Während es in vielen Fällen entsprechende Beanstandungen erhoben und Rückrufanordnungen getroffen hat, ist dies bei dem hier in Rede stehenden, in dem Audi Q5 verbauten Motor der Abgasnorm Euro 5, 176 kW, nicht erfolgt. Entsprechend ist das Fahrzeug des Klägers in der vom KBA geführten Übersicht Liste der betroffene Fahrzeugvarianten (ohne VW-Motor EA189), die aktuell über den Link h...

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