Leitsatz (amtlich)

Eine Berufung, die sich allein mit der Rüge einer Rechtsverletzung gegen ein tatrichterliches Ermessen (hier: haftungsbestimmende Abwägung unfallursächlicher Momente nach §§ 17 StVG, 254 BGB) richtet, ist unzulässig, wenn der vermeintliche Rechtsfehler der Vorinstanz nicht aufgezeigt wird (und wenn nicht dargelegt wird, dass es ohne den angeblichen Rechtsfehler zu einer dem Berufungskläger günstigeren Entscheidung hätte kommen müssen).

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Urteil vom 18.11.2002; Aktenzeichen 6 O 348/01)

 

Tenor

Die Berufung des Beklagten (Fiskus) gegen das am 18.11.2002 verkündete Urteil der 6. Zivilkammer des LG Bochum wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahren werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

A. Wegen des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das LG hat unter Abweisung der weiter gehenden Klage dem Kläger 85 % seines materiellen Schadens sowie ein Schmerzensgeld von 500 Euro zugesprochen. Es hat dem beklagten Land als Amtspflichtverletzung bei der Erfüllung seiner Straßenverkehrssicherungspflicht angelastet, das Teilstück des fraglichen Autobahnkreisels ohne Warnhinweis wegen des für Motorradfahrer gefährlich glatten Bitumenstreifens in der Fahrbahn für den Verkehr freigegeben zu haben. Den Kläger treffe ein mit 15 % zu bewertendes Mitverschulden, weil er dem Bitumenband trotz dazu fahrtechnisch gegebener Möglichkeit nicht ausgewichen sei.

Mit der Berufung reklamiert das beklagte Land unter Einräumung einer eigenen Verkehrssicherungspflichtverletzung eine Gewichtung des dem Kläger anzulastenden Verursachungsanteils mit zwei Dritteln. Die vom LG vorgenommene Haftungsverteilung verkenne die Geringfügigkeit des den Landesbediensteten anzulastenden Verschuldens. Die Streckenkontrolleure hätten angesichts der Einzigartigkeit dieses ersten Unfalls in seiner Art die Gefährlichkeit des Bitumenstreifens für Kradfahrer bei nasser Fahrbahn nicht erkennen können, jedenfalls nicht erkennen müssen.

Demgegenüber hätten dem Kläger höchste Aufmerksamkeitspflichten oblegen. Er habe das Bitumenband und dessen Gefährlichkeit rechtzeitig wahrnehmen und dessen Überfahren angesichts rechts und links davon ausreichender Fahrbahnbreite auch in der Kurvenfahrt leicht vermeiden können.

Die relativ geringfügige Verletzung des linken Daumens des Klägers rechtfertige bei unterstellter voller Haftung allenfalls ein Schmerzensgeld von 450 Euro.

Das beklagte Land beantragt, abändernd die Klage abzuweisen, soweit sie auf Zahlung von mehr als 1.736,03 Euro nebst zuerkannter Zinsen für den materiellen Schaden und eines höheren Schmerzensgeldes als 150 Euro nebst Zinsen gerichtet ist.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens.

Die Akten der Stadt … sind zur Ergänzung des Parteivorbringens Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

B. Das Rechtsmittel des beklagten Landes ist nicht zulässig, weil seine Begründung eine im Berufungsverfahren zu korrigierende Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil nicht in der von § 520 Abs. 3 Ziff. 2 und 4 ZPO geforderten Weise aufzeigt. An die Rüge der Rechtsverletzung sind revisionsrechtliche Maßstäbe anzulegen, wie die Verweisung auf § 546 ZPO in § 513 Abs. 1 ZPO erweist. Insoweit rügt zwar die Berufung Fehler des LG bei der Gewichtung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge zu dem Unfall und der Bemessung des Schmerzensgeldes. Dabei verkennt sie indes, dass sowohl die Haftungsabwägung nach §§ 17 StVG, 254 BGB als auch die Bestimmung des angemessenen Schmerzensgeldes grundsätzlich tatrichterlicher Würdigung bzw. tatrichterlicherm Ermessen unterliegen. Die nach der Neuregelung des Berufungsverfahrens durch § 513 ZPO auch für das Berufungsgericht auf Rechtsfehler beschränkte Prüfung erlaubt nur eine Nachprüfung der Haftungsabwägung dahin, ob die Vorinstanz alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen hat (BGH v. 8.12.1987 – VI ZR 82/87, MDR 1988, 398 = NJW-RR 1988, 406 [407]; BGH v. 18.11.1993 – III ZR 178/92, MDR 1994, 992 = VersR 1994, 618) und bei der Bemessung des Schmerzensgeldes insb., ob sich die Vorinstanz mit allen maßgeblichen Umständen ausreichend auseinander gesetzt und sich um eine angemessene Beziehung der Entschädigung zu Art und Dauer der Verletzungen bemüht hat (BGH v. 12.5.1998 – VI ZR 182/97, MDR 1998, 1029 = NJW 1998, 2741 [2743]). Liegen derartige Rechtsfehler nicht vor, darf die Rechtsmittelinstanz nicht eigene Würdigung oder eigenes Ermessen an die Stelle der Bestimmung durch die Vorinstanz setzen.

Damit korrespondierend genügt es für eine die Zulässigkeitshürde des § 520 Abs. 3 ZPO überwindende Begründung der Berufung nicht, dass der Rechtsmittelführer lediglich seine eigene, andere Bewertung an die Stelle der angefochtenen setzt, ohne k...

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