Leitsatz (amtlich)
Werden eine Kommune und ein Tiefbauunternehmen aufgrund einer Verletzung der Straßenverkehrssicherungspflicht auf Schadensersatz in Anspruch genommen, kommt eine Gerichtsstandbestimmung hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit in Betracht, wenn das Tiefbauunternehmen - streitwertbedingt - vor dem Amtsgericht und die Kommune - streitwertunabhängig - gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG vor dem Landgericht zu verklagen wäre. Eine solche Konstellation kann vorliegen, wenn die infrage stehende Straßenverkehrssicherungspflicht für die Kommune eine in hoheitlicher Tätigkeit auszuübende Amtspflicht darstellt, was sich in Nordrhein-Westfalen aus § 9a StrWG NRW ergeben kann.
Normenkette
GVG § 71 Abs. 2; StrWG NRW § 9a; ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
AG Essen (Aktenzeichen 20 C 78/19) |
Tenor
Das Landgericht Essen wird für sachlich zuständig erklärt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Ersatz wegen eines im Straßenverkehr erlittenen Schadens in Anspruch.
Er hat beim Amtsgericht Klage erhoben mit der Begründung, am 13.03.2018 an einer Baustelle auf dem Innenstadtring in F mit dem rechten Vorder- und Hinterreifen seines Kraftfahrzeugs in ein in der Fahrbahn befindliches Loch geraten zu sein. Dadurch sei an seinem Pkw ein Sachschaden in Höhe von 4,939,77 Euro entstanden. Dafür macht er die Beklagte zu 1) unter dem Gesichtspunkt der Verletzung ihrer Straßenverkehrssicherungspflicht verantwortlich und die Beklagte zu 2) als für die Durchführung von Tiefbauarbeiten in diesem Bereich verantwortliches Unternehmen.
Mit prozessleitender Verfügung vom 21.03.2019 hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass es für die Klage gegen die Beklagte zu 1) nicht zuständig sei, da in Bezug auf sie ein Amtshaftungsanspruch i.S.v. § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG in Betracht komme. Daher sei das Landgericht sachlich ausschließlich zuständig (Bl. 35 f. d.A.).
Der Kläger hat daraufhin mit Schriftsatz vom 26.03.2019 beim Oberlandesgericht beantragt, das Landgericht für sachlich zuständig zu erklären (Bl. 73 ff. d.A.). Da er die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen in Anspruch nehme, lägen die Voraussetzungen für eine Streitgenossenschaft gem. §§ 59, 60 ZPO vor. Nur durch die Bestimmung der Zuständigkeit des Landgerichts könne eine Verfahrenstrennung vermieden werden, die aus prozesswirtschaftlichen Gründen nicht sinnvoll sei.
Die Beklagte zu 1) hat die sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts gerügt und sich mit einer Verweisung an das Landgericht Essen einverstanden erklärt (Bl. 44, 50 d.A.).
Der Senat hat die Akte des Amtsgerichts Essen beigezogen und den Beklagten Gelegenheit gegeben, zum Antrag des Klägers Stellung zu nehmen. Diese haben von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
II. Die Voraussetzungen für eine Gerichtstandbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
1. Das Zuständigkeitsbestimmungsverfahren findet nicht nur zur Frage der örtlichen Zuständigkeit Anwendung, wenn der allgemeine Gerichtsstand der Beklagten in verschiedenen Gerichtsbezirken liegt, sondern dient auch der Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit des Amts- oder Landgerichts, wenn dies zwischen den Parteien oder im Verhältnis zum angerufenen Gericht strittig ist. Ob es sich dabei um eine entsprechende oder analoge Anwendung von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO handelt, hat der Senat bislang offen gelassen, die Frage muss auch im vorliegenden Fall nicht entschieden werden (vgl. Senat, Beschl. v. 20.10.2016 - 32 SA 63/16 - juris, Rn. 17; Touissant, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 31. Edition (Stand: 01.12.2018), § 36 Rn. 17 m.w.N.).
2. Der Senat ist zur Zuständigkeitsbestimmung berufen, da sich sowohl das Amts- als auch das Landgericht Essen im Bezirk des Oberlandesgerichts Hamm befinden und die Zuständigkeit eines anderen Gerichts nicht in Betracht kommt. Das Oberlandesgericht ist das im Rechtszug zunächst höhere Gericht im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO, da ein Zivilsenat über die Berufung gegen ein Urteil des Landgerichts zu entscheiden hätte (vgl. §§ 511 ff. ZPO i.V.m. § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG).
3. Mit der beim Amtsgericht Essen erhobenen Klage nimmt der Kläger die Beklagten als Streitgenossinnen im Sinne der §§ 59, 60 ZPO auf Schadensersatz in Anspruch.
a) Dafür genügt, dass die Klage auf einem im Wesentlichen einheitlichen tatsächlichen und rechtlichen Grund beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 15.08.2017 - 32 SA 47/17 - juris, Rn. 6; Beschluss vom 16.10.2018 - 32 SA 43/18 - nicht veröffentlicht; Schultzky in Zöller, ZPO 32. Aufl. 2018, § 36 Rn. 20 i.V.m. §§ 59, 60, Rn. 5 ff.). Geprüft wird dabei nicht die Zulässigkeit oder Schlüssigkeit der Klage, sondern nur die Zulässigkeit des Gesuchs, also nur, ob die Voraussetzungen der §§ 59, 60 ZPO schlüssig vorgetragen sind (Schultzky, a.a.O., § 36 Rn. 28 m.w.N.). Als eine weitgehend auf Zweckmäßigkeitserwägungen beruhende Vorschrift ist § 60 ZPO weit auszulegen. Dies gestattet es, auch ohne Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend zu machenden Ansprüche Streitgenossens...