Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen einer etwaigen Fahrlässigkeitshaftung eines Motorenherstellers bei behaupteter Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 826; EGV 715/2007 Art. 5
Verfahrensgang
LG Münster (Aktenzeichen 16 O 339/20) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 16. Juli 2021 verkündete Urteil des Einzelrichters der 16. Zivilkammer des Landgerichts Münster (16 O 339/20) abgeändert.
Die Klage wird vollumfänglich abgewiesen.
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem Diesel-Abgasskandal auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger erwarb mit Bestellung vom 11. Juni 2018 bei dem Autohaus A in B ein Gebrauchtfahrzeug vom Typ VW Modell01 (..) 1.6 TDI (88kW) mit einer Erstzulassung vom 28. April 2015 bei einer Laufleistung von 113.966 km zum teilweise finanzierten Kaufpreis von 15.777,00 EUR. Die Typgenehmigung für diesen Fahrzeugtyp ist am 29. Januar 2015 erteilt worden.
In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten entwickelter und produzierter Dieselmotor mit der werksinternen Bezeichnung EA 288 (EU6) verbaut. Zur Reduzierung der entstehenden Emissionen kommt neben einem Dieselpartikelfilter (DPF) die Abgasrückführungstechnik (AGR) zum Einsatz. Ferner findet eine Abgasnachbehandlung mittels NOx-Speicherkatalysator (NSK) statt.
Bei diesem Aggregat handelt es sich um die Nachfolgegeneration des ebenfalls von der Beklagten entwickelten Motortyps EA189. Bei diesem älteren Motortyp war eine Funktion in der Steuerungssoftware hinterlegt, mit der erkannt werden konnte, ob die Fahrzeuge einem für die Einhaltung der Emissionswerte relevanten Prüfstandlauf unterzogen wurden. Bei der Erkennung eines solchen Prüfstandlaufs wurde mittels einer Umschaltlogik eine Reduktion der Stickoxidemissionen aktiviert, während die betroffenen Fahrzeuge bei normaler Nutzung einen deutlich erhöhten Stickoxidausstoß aufwiesen und die maßgeblichen Grenzwerte nicht einhielten.
Am 22. September 2015 sah die Beklagte sich zu einer Information der Öffentlichkeit veranlasst, dass bei den Motoren vom Typ EA 189 "Unregelmäßigkeiten einer verwendeten Software" festgestellt worden seien und es hinsichtlich der Abgaswerte "eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb" gebe.
Diese Mitteilung der Beklagten führte nicht nur zu einer breiten Medienberichterstattung unter Schlagzeilen wie "Diesel-Gate", "Dieselskandal", "VW-Abgasskandal", sondern auch dazu, dass der seinerzeit amtierende Bundesverkehrsminister die Untersuchungskommission "Volkswagen" einsetzte und das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) mit einer Überprüfung beauftragte, ob bei den auf dem Markt befindlichen Dieselfahrzeugen Abschalteinrichtungen zum Einsatz kamen, die im Sinne der VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässig waren.
Das KBA wertete die bei den EA189-Motoren verwendete Applikation als unzulässige Abschalteinrichtung und gab der Beklagten auf, die Vorschriftsmäßigkeit der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu gewährleisten. Dazu wurden insbesondere Software-Updates für die Motorsteuerung entwickelt, die nach entsprechender behördlicher Freigabe bei den betroffenen Fahrzeugen im Zuge eines verpflichtenden Rückrufs aufgespielt werden mussten.
Im Zuge der behördlichen Überprüfungen machte die Beklagte gegenüber dem KBA auch Angaben zu den Strategien der Abgasbehandlung bei den neueren EA288-Motoren. Dadurch war dem KBA spätestens Anfang 2016 bekannt, dass (auch) bei diesen Motoren die Abgasrückführung auf einen bestimmten Temperaturbereich beschränkt war ("Thermofenster"). Ferner war dem KBA durch Mitteilung der Applikationsrichtlinien bekannt, dass auch bei den bis dahin produzierten EA288-Motoren eine Funktion zur Erkennung einer Fahrkurve hinterlegt war, wie sie bei Durchführung eines Prüfstandlaufs kennzeichend ist. Dieser Umstand wurde von der Beklagten in Bezug auf diejenigen Fahrzeuge, bei denen - wie im vorliegenden Fall - eine Abgasnachbehandlung mittels NOx-Speicherkatalysators (NSK) zum Einsatz kommt, damit begründet, dass vor dem eigentlichen Prüfstandlauf eine Regeneration des NSK nötig sei, um repräsentative Messergebnisse zu gewährleisten.
Aus behördlicher Sicht ergaben sich weder aus den mitgeteilten Applikationsrichtlinien noch aus den Überprüfungen verschiedener mit dem EA288-Motor ausgestatteter Fahrzeuge Anhaltspunkte für die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung.
Allerdings entschloss die Beklagte sich in Abstimmung mit dem KBA, die bei den EA288-Motoren anfangs hinterlegte Fahrkurvenerkennung bei später produzierten Fahrzeugmodellen aus der Steuerungssoftware zu entfernen. Für ältere Fahrzeuge wurde ein freiwilliges Software-Update angeboten. Im Fahrzeug des Klägers ist die ursprüngliche Fahrkurvenerkennung noch vorhanden.
Der Kläger geht davon aus, dass in seinem Fahrzeug unzulässige Absc...