Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anscheinsbeweis bei Zusammenstoß zwischen Linksabbieger und Überholer
Leitsatz (amtlich)
Ein Anscheinsbeweis für die Sorgfaltspflichtverletzung eines Linksabbiegers, welcher mit einem links überholenden Fahrzeug zusammenstößt, lässt sich jedenfalls dann nicht allein auf den Abbiegevorgang stützen, wenn der von hinten kommende Fahrer zwei vor ihm befindliche Fahrzeuge in einem Zuge zu überholen versucht (Abgrenzung zu KG v. 7.10.2002 - 12 U 41/01, MDR 2003, 507 = KGReport Berlin 2003, 3 = NZV 2003, 89).
Normenkette
StVO § 5 Abs. 3 Nr. 1, § 9 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Paderborn (Urteil vom 08.07.2005; Aktenzeichen 4 O 116/05) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 8.7.2005 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des LG Paderborn unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen abgeändert.
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 1.596,22 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.3.2005 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die Kosten des ersten Rechtszuges tragen zu 7/9 der Kläger und zu 2/9 die Beklagten.
Die Kosten des Berufungsrechtszuges tragen zu 7/12 der Kläger und zu 5/12 die Beklagten.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Der Kläger wollte am 6.6.2004 in Paderborn außerorts mit seinem Gespann (Pkw Volvo V 70 nebst Einachsanhänger) vom Dahler Weg nach links in die Grundstückseinfahrt zu seinem Haus Nr. 132 einbiegen. Der hinter ihm fahrende Zeuge Köhler hatte seiner Aussage zur Folge seinen Pkw VW Golf Kombi hinter dem Gespann des Klägers angehalten, weil dieser sich nach links eingeordnet, geblinkt und ebenfalls angehalten hatte. Der dem Zeugen Köhler folgende Beklagte zu 1) wollte mit dem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw Ford die beiden vor ihm befindlichen Fahrzeuge überholen und stieß mit dem Kläger zusammen, nachdem dieser mit dem Einbiegevorgang begonnen hatte.
Die Beklagte zu 2) hat den Fahrzeugschaden unter Abzügen zur Höhe auf der Basis einer Haftungsquote des Beklagten zu 1) von 2/3 abgerechnet.
Das LG hat die auf Ersatz des restlichen Fahrzeugschadens gerichtete Klage nach Zeugenvernehmung mit der Begründung abgewiesen, die Zahlungen des Beklagten zu 2) deckten etwa 65 % der ersatzfähigen Schäden; mehr könne der Kläger nicht verlangen, da ihm ein schuldhafter Verstoß gegen die Pflicht zur zweiten Rückschau zur Last falle.
Auf der Grundlage der vom LG festgestellten Schadenshöhe von 11.095,40 EUR verfolgt der Kläger sein Begehren nach Abrechnung auf 100 %-Basis weiter und fordert demgemäß im Berufungsrechtszug unter Berücksichtigung der vorprozessual gezahlten 7.280,10 EUR noch weitere 3.815,30 EUR.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.
Der Senat hat den Kläger und den Beklagten zu 1) gem. § 141 ZPO angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens. Wegen der Angaben der Parteien und der Ausführungen des Sachverständigen wird auf den Vermerk des Berichterstatters Bezug genommen.
II. Die Berufung des Klägers hat teilweise Erfolg, weil ihm kein Mitverschulden an der Unfallentstehung zur Last gelegt werden kann. Bei der Abwägung der haftungsbestimmenden Verursachungsanteile gem. § 17 StVG ist demgemäß auf seiner Seite nur die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs zu berücksichtigen, die zwar wegen der Gefährlichkeit des Abbiegevorgangs nicht völlig zurücktritt, aber ggü. dem schuldhaften Überholfehler des Beklagten zu 1) lediglich mit einem Anteil von 20 % zu bewerten ist.
1. Es lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger beim Einbiegen nach links in seine Grundstückszufahrt gegen seine in § 9 Abs. 5 StVO statuierte Pflicht verstoßen hat, eine Gefährdung anderer auszuschließen, also die äußerste Sorgfalt einzuhalten.
1.1 Auf die unstreitigen und auf die in der Beweisaufnahme festgestellten Tatsachen lässt sich dieser Vorwurf nicht stützen. Der Kläger hat schon bei der Annäherung an die Einfahrt den linken Blinker gesetzt, sich zur Fahrbahnmitte hin eingeordnet und dann angehalten, bevor er dann wieder zum Einbiegen nach links angefahren ist. Das steht fest aufgrund der Aussage des Zeugen Köhler, welcher sich mit seinem Pkw VW Golf hinter dem Gespann des Klägers befand.
1.2 Die Beweisaufnahme hat auch nicht zu dem Nachweis geführt, dass der Kläger entgegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO auf den nachfolgenden Verkehr nicht hinreichend geachtet hat. Denn es lässt sich nicht feststellen, dass unmittelbar vor dem Abbiegen, als der Kläger die sog. zweite Rückschau zu halten hatte, der Beklagte zu 1) (im Folgenden: der Beklagte) für ihn als Überholer erkennbar war.
Der Sachverständige Prof. Schimmelpfennig hat den Unfall eingehend analysiert und die zweitwegmäßigen Zusammenhänge einleuchtend in der Weise erläutert, dass der Kläger sich 4 Sekunden vor der Kollision zum Anfahren entschlossen hat. Da der Beklagte zu diesem Zeitpunkt erst damit begann, den Fahrstreifen zum Zwecke des Überholens zu wechseln, war er für den Kläger noch nicht als Überholer...