Verfahrensgang
LG Siegen (Aktenzeichen 1 O 314/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Siegen vom 05.04.2022 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Es wird festgestellt, dass die Erhöhungen der Monatsbeiträge in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Kranken-/ und Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer N01 im Tarif NK1
zum 01.01.2012 in Höhe von 26,19 EUR, zum 01.01.2013 in Höhe von 28,17 EUR, zum 01.01.2015 in Höhe von 2,33 EUR, zum 01.01.2016 in Höhe von 28,15 EUR und zum 01.01.2017 in Höhe von 27,24 EUR
jeweils bis zum 31.12.2018 unwirksam waren und der Kläger nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet war.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.344,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06.11.2021 zu zahlen.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
5. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 86 % und die Beklagte zu 14 %; die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 71 % und die Beklagte zu 29 %.
6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I. Auf eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen und die Darstellung der Änderungen und Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO verzichtet.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten (nachfolgend: Beklagtenpartei) ist teilweise begründet, da das Landgericht die Beitragsanpassung im Tarif NK 2 zum 01.01.2018 zu Unrecht als unwirksam angesehen hat und der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhung in den Tarifen NK 2 und KT 43 zum 01.01.2015 bereits unzulässig war. Im Übrigen ist die Berufung der Beklagten unbegründet.
Die Berufung des Klägers (nachfolgend: Klagepartei) ist hingegen unbegründet, da die Beitragsanpassungen zum 01.01.2017 im Tarif NK 2 und zum 01.01.2019 im Tarif NK 1 wirksam waren.
1. Die Beitragsanpassungen im Tarif NK 1 zum 01.01.2012, 01.01.2013, 01.01.2015,
01.01.2016 und 01.01.2017 sind formell unwirksam gewesen.
a) Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 S. 1 VVG veranlasst hat (statt vieler: BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 294/19 -, juris Rn. 26). Dabei muss auch mitgeteilt werden, dass bei der konkreten Prämienanpassung ein in Gesetz oder Tarifbedingungen festgestellter Schwellenwert überschritten worden ist (BGH, Urteil vom 31.08.2022 - IV ZR 252/20 -, juris Rn. 13), wobei offenbleiben kann, ob der Schwellenwert, der die Prämienanpassung ausgelöst hat, im Gesetz oder davon abweichend in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen bzw. im Tarif geregelt ist (BGH, Urteil vom 16.12.2020 - IV ZR 314/19 -, juris Rn. 30). Ebenfalls keiner Mitteilung bedarf es, ob die nach der Überprüfung zukünftig erforderlichen Versicherungsleistungen nach oben oder nach unten von den kalkulierten Ausgaben abgewichen sind (BGH, Urteil vom 20.10.2021 - IV ZR 148/20 -, juris Rn. 29) oder in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat (BGH, Urteil vom 22.06.2022 - IV ZR 253/20 -, juris Rn. 22). Der Versicherer hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben (BGH, Urteil vom 22.06.2022 - IV ZR 253/20 -, juris Rn. 22).
b) In den jeweiligen Anschreiben für die Jahre 2012, 2013, 2015, 2016 und 2017 - die für die genannten Jahre im Wesentlichen wortgleich sind, soweit es die Begründung der Beitragsanpassung betrifft - heißt es jeweils, die Beklagte vergleiche jährlich die tatsächlichen Leistungsauszahlungen mit den kalkulierten Ausgaben. Für bestimmte Tarife seien die Beiträge zu erhöhen, da die Ausgaben höher ausgefallen seien als berechnet. Beigelegt waren den Mitteilungsschreiben jeweils "Informationen zu rechtlichen Seite der Beitragsanpassung". Darin wird ausgeführt, dass die Beitragsanpassungen vertraglich in § 8b der Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelt seien. Demnach könnten Beiträge in der privaten Krankenversicherung nur dann anpasst werden, wenn die Leistungsausgaben eines Tarifs "auf Dauer höher oder niedriger ausfallen als bisher". Der Senat hat für diese Formulierung bereits entschieden (Urteil vom 22.05.2023 - 6 U 37/22 -, n.v.), dass es sowohl in den Mitteilungsschreiben als auch in den Informationsblättern an einem Hinweis darauf fehlt, dass es der Abweichung um einen bestimmten Wert ("Schwellenwert") bedarf, damit es zu einer Überprüfung und Anpassung des Tarifs kommt.
2. Im Hinblick auf die Beitragsanpassungen in den Tarifen NK 2 und KT 43 zum 01.01.2015 war der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit dieser Anpassungen bereits unzulässig, da weder ein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO besteht noch die Feststellung der Unwirksamkeit vorgreiflich i...