Leitsatz (amtlich)

Zur - nicht zulässigen - Auslegung und Umdeutung einer von der Mutter für das Kind eingelegten Beschwerde gegen einen Entzug des Sorgerechts wegen Kindeswohlgefährdung in eine Beschwerde der Mutter.

 

Verfahrensgang

AG Rastatt (Aktenzeichen 5 F 98/23)

 

Tenor

1. Die für die Betroffene eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Rastatt vom 15.06.2023 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Mutter zu tragen.

3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 4.000 EUR festgesetzt.

4. Der Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

 

Gründe

I. Gegenstand des Verfahrens sind Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB gegen die Eltern der Betroffenen L. P., geb. ... 2007. Die geschiedenen Eltern waren zunächst gemeinsam sorgeberechtigt; mit Beschluss des OLG Karlsruhe vom 09.09.2019 (Az. 20 UF 73/19) wurde dem Vater in Teilbereichen (Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge, Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und Recht zur Beantragung öffentlicher Leistungen, insbesondere Jugendhilfemaßnahmen) die alleinige elterliche Sorge übertragen. Im Anhörungstermin beim Amtsgericht Baden-Baden, Verfahren 6 F 243/20, vom 10.02.2021 erteilte der Vater der Mutter Vollmacht in Gesundheitsangelegenheiten und schulischen Angelegenheiten. L. lebte nach der Trennung der Eltern zunächst bei der Mutter, dann von Juli 2019 bis April 2021 beim Vater. Seit April 2021 hält sie sich wieder überwiegend im Haushalt der Mutter auf.

Das vorliegende Verfahren wurde auf Anregung des Jugendamts vom 11.05.2023 eingeleitet. Vorausgegangen war ein langjähriger Kontakt der Familie mit dem Jugendamt seit 2010 und mehrere gerichtliche Verfahren vor den Amtsgerichten Rastatt und Baden-Baden. Mit dem Schreiben vom 11.05.2023 hat das Jugendamt angeregt, beiden Eltern die elterliche Sorge zu entziehen, da zum Wohle von L. ein Antrag auf geschlossene Unterbringung gestellt werden müsse, die Eltern dies aber nicht konsequent umsetzen würden.

Das Amtsgericht hat L. eine Verfahrensbeiständin bestellt. Das Kind wurde in deren Anwesenheit am 14.06.2023 persönlich angehört, im Anschluss auch die Eltern, die Verfahrensbeiständin und das Jugendamt. Mit Beschluss vom 15.06.2023 hat das Amtsgericht den Eltern die elterliche Sorge für L. entzogen und Amtsvormundschaft angeordnet. Der Beschluss wurde am 17.06.2023 an L. und am 19.06.2023 an die Mutter zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 21.06.2023, beim Amtsgericht eingegangen am selben Tag, hat Rechtsanwältin W. gegen diesen Beschluss "namens und in Vollmacht der Betroffenen" Beschwerde eingelegt mit der Angabe, "Frau L. P., geboren ..., gesetzlich vertreten durch die Eltern J. P. und D. P." anwaltlich zu vertreten. Zugleich hat sie beantragt, "der Beteiligten Verfahrenskostenhilfe [...] zu bewilligen". Mit dem Beschwerdeschreiben wurde eine Vollmacht vorgelegt, die am 20.06.2023 von J. P. unterschrieben worden war.

Mit Verfügung vom 11.07.2023 hat der Senat darauf hingewiesen, dass eine gesetzliche Vertretung des Kindes durch die Eltern seit Wirksamwerden des Beschlusses vom 15.06.2023 nicht mehr besteht, sondern Amtsvormundschaft angeordnet ist. Unter dem 20.07.2023 hat die Bevollmächtigte eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Mutter vorgelegt mit dem Anschreiben, es handele sich um die Erklärung der Antragstellerin. Mit Schreiben vom 06.10.2023 hat sie mitgeteilt, die Vertretung erfolge ausschließlich für die Mutter; für diese sei auch Beschwerde eingelegt worden. Dies hat sie unter dem 20.10.2023 nochmals bestätigt, verbunden mit der Mitteilung, weitere Erklärungen in dieser Sache nicht abgeben zu wollen.

II. Die - an sich statthafte - Beschwerde ist unzulässig und daher zu verwerfen, § 68 Abs. 2 Satz 2 FamFG.

Für keinen Beteiligten wurde wirksam und fristgemäß Beschwerde eingelegt.

1. Die Betroffene L. P. ist gem. § 60 FamFG beschwerdebefugt. Die Bevollmächtigte konnte jedoch für sie nicht wirksam Beschwerde einlegen. Sowohl aus der vorgelegten Vollmacht als auch aus den nachfolgenden Schreiben der Bevollmächtigten ergibt sich, dass diese ausschließlich von der Mutter bevollmächtigt wurde. Die Mutter war jedoch zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde wie auch zum Zeitpunkt der Erteilung der Vollmacht an die Bevollmächtigte nicht mehr vertretungsbefugt hinsichtlich der Betroffenen.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15.06.2023 ist den Eltern, insbesondere auch der Mutter, die elterliche Sorge für L. entzogen worden. Zu der elterlichen Sorge gehört auch die Vertretungsbefugnis für das Kind, § 1629 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Beschluss des Amtsgerichts ist wirksam geworden mit der Bekanntgabe an den Beteiligten, für den er seinem wesentlichen Inhalt nach bestimmt ist (§ 40 Abs. 1 FamFG). Dies ist bei einem Sorgerechtsentzug die Bekanntgabe an den bisher Sorgeberechtigten (Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Auflage 2022, § 4...

Dieser Inhalt ist unter anderem im VerwalterPraxis Gold enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge