Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Haftung des Motorenherstellers im Dieselabgasskandal - Motor EA 288

 

Leitsatz (amtlich)

1. Allein aufgrund der Verwendung einer prüfstandsbezogenen Fahrkurvenerkennung mit Auswirkungen auf das Emissionsverhalten lässt sich kein Sachverhalt feststellen, aus dem darauf geschlossen werden könnte, dass die für den Fahrzeughersteller handelnden Personen in dem für eine Haftung gemäß § 826 BGB erforderlichen Bewusstsein der Nutzung einer unzulässigen Abschalteinrichtung gehandelt haben. Solange das Kraftfahrtbundesamt die Rechtsauffassung vertreten hat, dass sogenannte "Grenzwertkausalität" Voraussetzung für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung sei, und entgegenstehende Rechtsprechung nicht existiert hat, fehlte es an einer evident unzulässigen Abschalteinrichtung, die einen Rückschluss auf vorhandenes Unrechtsbewusstsein ermöglichen könnte.

2. Das Verhalten der für einen Fahrzeughersteller handelnden Personen, die einen Fahrzeugtyp mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben, verwirklicht den objektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit nur dann, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (Anschluss an BGH, Beschluss vom 19.01.2021 - VI ZR 433/19, juris).

3. Eine nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geforderte, nach außen erkennbare Verhaltensänderung, die die Bewertung eines ursprünglich als sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB qualifizierten Verhaltens in einer Gesamtschau entfallen lässt, verlangt im Falle einer Veränderung des Verhaltens hin zu einer umfassenden Kooperation mit der zuständigen Behörde keine sich an die breite Öffentlichkeit richtenden Maßnahmen, solange die zuständige Behörde das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung verneint.

4. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 der VO Nr. 715/2007/EG bzw. Art. 18, 26 der Richtlinie Nr. 2007/46/EG knüpft an die Erteilung einer unzutreffenden Übereinstimmungsbescheinigung durch den Fahrzeughersteller an. Der Motorhersteller kann deshalb, weil er die Übereinstimmungsbescheinigung nicht ausgibt, nach den allgemeinen Grundsätzen weder Mittäter einer Vorsatztat des Fahrzeugherstellers noch mittelbarer (Vorsatz-)Täter hinter dem (gegebenenfalls fahrlässig handelnden) Fahrzeughersteller sein.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EGRL 46/2007 Art. 18, 26; EGV 715/2007 Art. 5

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Urteil vom 31.05.2021; Aktenzeichen E 5 O 280/20)

 

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 31.05.2021, Az. E 5 O 280/20, wird zurückgewiesen.

2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Klagepartei kann die Zwangsvollstreckung der Beklagten hinsichtlich der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 28.013,43 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klagepartei nimmt den beklagten Motorenhersteller auf Schadensersatz wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in Anspruch.

Die Klagepartei erwarb am 10.05.2017 von einer am Rechtsstreit nicht beteiligten Dritten ein Fahrzeug Škoda Superb, Erstzulassung am 23.11.2016, als Neuwagen mit einer Laufleistung von 0 km zu einem Kaufpreis in Höhe von 33.990 EUR. Der Kilometerstand am 26.11.2023 betrug 107.070 km.

In dem streitgegenständlichen Fahrzeug ist ein Motor der Baureihe EA 288 verbaut. Das Fahrzeug verfügt über einen SCR-Katalysator (selektive katalytische Reduktion). Die Beklagte ist Herstellerin des Motors, nicht hingegen des Fahrzeugs. Die EG-Typgenehmigung wurde der Fahrzeugherstellerin für die Schadstoffklasse Euro 6 erteilt.

Der im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaute Motor des Typs EA 288 (Euro 6) ist das Nachfolgemodell des Motors Typ EA 189, der im Jahre 2015 den sogenannten "Diesel-Abgasskandal" auslöste, weil er mit einer Software ausgerüstet worden war, die erkannte, ob sich der Pkw im Prüfstand- oder im Realbetrieb befand und im Prüfstandbetrieb die Stickoxide in den ausgestoßenen Abgasen reduzierte ("Umschaltlogik"). Dies führte in der Folge zu verbindlichen Rückrufbescheiden durch das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) wegen des (nach Auffassung des KBA) Vorliegens unzulässiger ...

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