Leitsatz (amtlich)
1) Zum Widerruf eines Lebensversicherungsvertrags nach § 8 Abs. 1 VVG (2008).
a) Die Widerrufsbelehrung nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 VVG muss auch die Rechtsfolgen des Widerrufs umfassen. Hierzu gehört auch der Hinweis, dass bei nicht erteilter Zustimmung zu einem Versicherungsbeginn vor Ablauf der Widerrufsfrist die vom Versicherer gezogenen Nutzungen zurück zu gewähren sind.
b) Die Widerrufsfolgen richten sich nur dann nach §§ 9 Abs. 1, 152 Abs. 2 VVG, wenn der Versicherungsnehmer einem Versicherungsbeginn vor Ablauf der Widerrufsfrist zugestimmt hat (BGH, Urteil vom 13.09.2017 - IV ZR 445/14).
c) Der nach § 152 Abs. 2 VVG zu zahlende Rückkaufswert ist ohne Verrechnung von Abschluss- und Vertriebskosten zu berechnen (ungezillmertes Deckungskapital).
d) Die nationalen Vorschriften über die Rechtsfolgen des Widerrufs stehen in Einklang mit den einschlägigen unionsrechtlichen Richtlinien.
2) Zum Umfang eines Auskunftsanspruchs gegen den Versicherer nach Widerruf.
3) Zur Frage der Zulässigkeit einer Berufung, mit der statt des erstinstanzlich abgewiesenen Feststellungsantrages ein Leistungsantrag (hier: Stufenklage) verfolgt wird.
Normenkette
Richtlinie 2002/65/EG Art. 7; Richtlinie 2002/83/EG Art. 35; VVG §§ 8-9, 152; ZPO §§ 511, 533
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 11.07.2017; Aktenzeichen 8 O 298/16) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 11.07.2017 - 8 O 298/16 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert und neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger über den Teilvergleich vom 12.11.2018 hinaus weitere 6.311,99 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz p.a.
- aus 2.895,55 EUR seit 17.03.2016,
- aus jeweils weiteren 114,46 EUR seit 2.4.2016, 2.5.2016 und 2.6.2016,
- aus jeweils weiteren 120,23 EUR seit 2.7.2016, 2.8.2016, 2.9.2016, 2.10.2016, 2.11.2016, 2.12.2016, 2.1.2017, 2.2.2017, 2.3.2017, 2.4.2017, 2.5.2017 und 2.6.2017
- aus jeweils weiteren 126,32 EUR seit 2.7.2017, 2.8.2017, 2.9.2017, 2.10.2017, 2.11.2017, 2.12.2017, 2.1.2018, 2.2.2018, 2.3.2018, 2.4.2018, 2.5.2018 und 2.6.2018.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtlich angefallene Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 863,46 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit 08.09.2016 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten beider Instanzen und des Teilvergleichs vom 12.11.2018 werden gegeneinander aufgehoben
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil gegen sie vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
(redaktionelle Bearbeitung):
Der Kläger schloss bei dem beklagten Versicherer mit Versicherungsbeginn zum 01.07.2013 einen fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag ("Investmentanlage ..." Vers.-Nr. ... 032) ab. Er hatte am 11.05.2013 auf einem Antragsformular der Beklagten eine "Voranfrage" gestellt. Nach weiterer Korrespondenz übersandte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 17.07.2013 einen modifizierten Antrag mit Vertragsdaten, dem eine vom Kläger zu unterschreibende "Annahmeerklärung" sowie u.a. ein Produktinformationsblatt, eine Belehrung über das Widerrufsrecht, Informationen nach §§ 1, 2 VVG-InfoV sowie Versicherungsbedingungen beigefügt waren. Der Kläger unterzeichnete die Annahmeerklärung unter dem 23.07.2013, wobei auf dem Schriftstück zusätzliche handschriftliche Vermerke angebracht wurden, u.a. "Beginn 1.7. gewünscht". Die Beklagte forderte zunächst noch weitere Unterschriften des Klägers an und übersandte ihm schließlich mit Schreiben vom 01.08.2013 den Versicherungsschein vom 01.08.2013 mit Versicherungsbeginn 01.07.2013, der eine erneute Belehrung über das Widerrufsrecht enthielt, sowie weitere Unterlagen (Tarifbedingungen, Informationen nach §§ 1, 2 VVG-InfoV, AVB, Information zu den Investmentfonds u a.).
Die auf Seite 6 des dem Kläger übersandten Versicherungsantrags vom 17.07.2013 und auf Seite 6 des ihm übersandten Versicherungsscheins vom 01.08.2013 enthaltene Belehrung über das Widerrufsrecht umfasst jeweils nahezu eine gesamte Seite DIN A 4. Sie befindet sich unmittelbar oberhalb der den Antrag bzw. den Versicherungsschein abschließenden Unterschriften des Versicherers. Die Belehrung ist eingerahmt sowie fett und kursiv gedruckt. Sie lautet jeweils wortgleich:
Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 30 Tagen ohne Angabe von Gründen in Textform (z B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt am Tag, nachdem Ihnen der Versicherungsschein und die vollständigen Verbraucherinformationen gemäß § 7 Abs. 2 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) sowie die Belehrung über das Widerrufsrecht und die Rechtsfolgen des Widerrufs zugegangen sin...