Leitsatz (amtlich)
Zur Darlegung einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung eines Fahrzeugherstellers gem. § 826 BGB bei Verwendung eines geregelten Kühlmittelthermostats ("Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung")
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 11. November 2019, Az. 4 O 172/19, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung fallen der Klägerin zur Last.
3. Dieses Urteil und das zu 1. bezeichnete Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Die Klägerin nimmt die beklagte Herstellerin ihres Fahrzeugs wegen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.
Die Klägerin erwarb am 29. Juni 2016 von einem Dritten ein durch die Beklagte hergestelltes Fahrzeug vom Typ [A.] zu einem Kaufpreis von 19.200 EUR (Anl. K 1). Das Fahrzeug ist mit einem nach der Abgasnorm Euro 5 ausgewiesenen Dieselmotor [M1] ausgestattet.
Das Kraftfahrt-Bundesamt erteilte für diesen Fahrzeugtyp eine Typgenehmigung mit der Schadstoffklasse Euro 5 nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rats vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29. Juni 2007, S. 1 ff; nachfolgend VO 715/2007/EG).
In die Brennkammer des Motors des hier gegenständlichen Fahrzeugtyps kann Abgas zurückgeführt werden, was geeignet ist, die Verbrennungstemperatur in einen Temperaturbereich zu reduzieren, in welchem weniger NOx-Partikel entstehen. Die Motorsteuerungssoftware bedingt, dass die Abgasrückführung (im Folgenden: AGR) außerhalb eines bestimmten Temperaturbereichs reduziert wird.
Eine im Namen der Klägerin ausgesprochene vorgerichtliche anwaltliche Aufforderung, sich zum Ersatz sämtlicher Schäden aus dem Kauf des Fahrzeugs zu verpflichten, wies die Beklagte zurück.
Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, die Klage sei nach § 826 BGB, hilfsweise nach § 831 BGB, und im Übrigen nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007/EG oder i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder i.V.m. § 263 StGB und hinsichtlich der Zinsen nach § 849 BGB begründet.
Die temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführung stelle eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO 715/2007/EG dar. Sie bewirke, dass die Abgasrückführung zu Beginn der Warmlaufphase und bei 14° C Außentemperatur und weniger, zurückgefahren oder ganz abgeschaltet werde. Die Reduzierung der Abgasrückführungsrate in Gestalt des sog. Thermofensters sei weder zum Schutz des Motors oder der Fahrzeugbauteile noch zum sicheren Betrieb des Fahrzeugs erforderlich. Diese unzulässige Abschalteinrichtung sei mit Wissen und Wollen der Organe der Beklagten bewusst zur Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts und der eigenen Kunden eingesetzt worden. Hierdurch würden die gesetzlichen Abgasgrenzwerte im Wesentlichen nur im Rahmen des Prüfzyklus im Prüfstand eingehalten, nicht aber im regulären Fahrbetrieb.
Die Beklagte habe unzureichende Angaben im Typengenehmigungsverfahren gemacht, indem sie das AGR-System allenfalls als "kennfeldgesteuert" beschrieben habe. Auch dies spreche für einen Vorsatz und die Sittenwidrigkeit des Handelns der Beklagten.
Darüber hinaus führe die verbaute Abschalteinrichtung dazu, dass der Grad der Abgasrückführung ab einer bestimmten Drehzahl reduziert oder gar in Gänze abgeschaltet werde. Dadurch komme es bei höheren Drehzahlen, insbesondere dann, wenn mit geringer Last gefahren werde, zu einem erheblichen Anstieg der Stickoxidemissionen.
Die Klägerin hat beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 16.705,64 EUR sowie Zinsen in Höhe von 2.425,60 EUR, nebst weiterer Zinsen aus 19.200,00 EUR in Höhe von 4 Prozent pro Jahr seit dem 01.09.2019 zu zahlen, Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs [A.] mit der Fahrzeugidentifikationsnummer [...].
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeugs seit dem 05.06.2019 in Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 150,00 EUR, jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten, sowie die Klagepartei von weiteren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.364,63 EUR [...] freizustellen.
Soweit die Klägerin mit der Klageschrift im Antrag zu 1 als Hauptforderung einen darüber hinausgehenden Betrag gefordert hatte, hat sie den Rechtsstreit hinsichtlich des über den vorstehenden Antrag hinausgehenden Teils der Hauptforderung nach Zustellung der Klageschrift für erledigt erklärt.
Die Beklagte hat der Teilerledigungserklärung widersprochen und beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die Behauptungen der Klägers...