Entscheidungsstichwort (Thema)
Verwirkung des Widerspruchsrechts nach § 5a Abs. 1 VVG trotz fehlerhafter Belehrung
Leitsatz (amtlich)
1. Im Fall nicht ordnungsgemäßer Widerspruchsbelehrung kann eine Verwirkung des Widerspruchsrechts nur bei Vorliegen besonders gravierender Umstände angenommen werden.
2. Solche besonders gravierenden Umstände, die zur Verwirkung führen, liegen vor, wenn der Versicherungsnehmer einen Leistungsantrag aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung gestellt hatte, worauf die Versicherung in eine Leistungsprüfung eingetreten ist mit dem Ergebnis eines Rücktritts wegen der Verletzung vorvertraglicher Anzeigepflichten, sodann den von ihr errechneten Rückkaufswert ausgekehrt hat, und sodann der Versicherungsnehmer erst nach weiteren 11 Jahren sein Widerspruchsrecht ausgeübt hat.
Normenkette
BGB § 242; VVG § 5a Fassung: 1994-07-21
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 12.12.2017; Aktenzeichen 11 O 53/16) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 12.12.2017 - 11 O 53/16 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Rückzahlung geleisteter Versicherungsprämien nebst hieraus von der Beklagten gezogener Nutzungen nach Widerspruch gegen einen Lebensversicherungsvertrag.
Der Kläger beantragte im Jahr 1998 bei der Beklagten über eine Versicherungsmaklerin einen Lebensversicherungsvertrag mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung. Bei Antragstellung wurden ihm keine weiteren Unterlagen, insbesondere nicht die Versicherungsbedingungen ausgehändigt. Die Beklagte policierte den Vertrag mit Versicherungsbeginn 01.12.1998. Mit Schreiben vom 21.12.1998 übersandte die Beklagte an die vom Kläger eingeschaltete Versicherungsmaklerin mit einem Begleitbrief den Versicherungsschein nebst AVB und den Verbraucherinformationen nach § 10a VAG zur Weiterleitung an den Kläger. Der diesem Schreiben beigefügte Begleitbrief enthält auf Seite 2 oben, nach einem größeren Absatz auf Seite 1 folgende - unterstrichene - Passage:
"Sie können innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheines dem Versicherungsvertrag widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs."
Danach enthält das Schreiben noch einen Absatz vor der Grußformel.
Am 12.08.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten Leistungen wegen Berufsunfähigkeit wegen eines im Juli 2001 erlittenen Unfalls. Nach Leistungsprüfung erklärte die Beklagte mit Schreiben vom 11.07.2003 den Rücktritt vom streitgegenständlichen Versicherungsvertrag wegen vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung über gefahrerhebliche gesundheitliche Beschwerden und ärztliche Untersuchungen kurz vor Vertragsschluss. Mit Schreiben vom 09.12.2015 erklärte der Kläger den Widerspruch gegen den Versicherungsvertrag, was die Beklagte zurückwies. Mit Schreiben vom 21.01.2016 forderte der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers die Beklagte unter nochmaliger Erklärung des Widerspruchs gegen den Versicherungsvertrag auf, sämtliche bezahlten Versicherungsbeiträge nebst einer Verzinsung von 7% p.a. an den Kläger zurückzuzahlen.
Der Kläger fordert mit seiner Klage die Rückzahlung der gezahlten Prämien, welche er auf 11.460,59 EUR beziffert, und der gezogenen Nutzungen, welche er anhand der Eigenkapitalrendite der Beklagten errechnet und mit 31.106,21 EUR angibt, abzüglich eines der Höhe nach ebenfalls streitigen Betrags für den genossenen Versicherungsschutz. Er macht geltend, er habe keine Widerspruchsbelehrung zu dem streitgegenständlichen Vertrag erhalten; der Zugang der von der Beklagten behaupteten Unterlagen sei ihm nicht erinnerlich. Erst im Jahr 2001 seien ihm auf seine Nachfrage der Versicherungsschein und die Versicherungsbedingungen übersandt worden. Die im Policenbegleitschreiben enthaltene Belehrung sei ohnehin nicht wirksam. Eine Verwirkung komme nicht in Betracht, da der Kläger ohne Belehrung keine Kenntnis von seinem Widerspruchsrecht gehabt habe und deshalb von einem wirksamen Vertrag habe ausgehen müssen.
Die Beklagte tritt der Klage entgegen. Sie habe nach dem Rücktritt vom Versicherungsvertrag im Jahr 2004 den Rückkaufswert der streitgegenständlichen Versicherung in Höhe von 3.135,25 EUR an den Kläger überwiesen und ferner 57,32 EUR Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag für den Kläger an die Finanzbehörden abgeführt. Die im Policenbegleitschreiben erteilte Widerspruchsbelehrung sei nicht zu beanstanden. Ein Rückzahlungsanspruch des Klägers scheide auch wegen Verwirkung bzw. rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers aus. Des Weiteren sei ein Widerspruchsrecht in analoger Anwendung des § 124 Abs. 3 BGB spätestens zehn Jahre nach Vertragsschluss ausgeschlossen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil das Widerspruchrecht verwirkt sei. In tatsächlicher Hinsicht...