Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung des Werkunternehmers bei technischer Neuentwicklung und Verwendung angeblich ungeeigneter Betriebsstoffe durch den Besteller; Beschlussentscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO bei erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung
Leitsatz (amtlich)
1. Wer mit der von ihm versprochenen Werkleistung "technisches Neuland" betritt, haftet bei Nichteintritt des Erfolgs auch dann, wenn er sein eigenes Leistungsvermögen und die technische Beherrschbarkeit der anstehenden Probleme falsch eingeschätzt hat.
2. Die Behauptung, der Dauerbetrieb eines Holzgasheizkraftwerks scheitere nur daran, dass die vom Besteller eingesetzten Betriebsstoffe ungeeignet seien, ist unerheblich, solange der Werkunternehmer nicht aufzeigt, welche Betriebsstoffe sich für den Dauerbetrieb eignen und wo der Besteller sie beschaffen kann.
3. Die tatsächliche Nutzung einer Werkleistung oder wesentlicher Teile derselben bringt nur dann den Abnahmewillen des Bestellers zum Ausdruck, wenn es irgendeinen Anhalt dafür gibt, dass die Nutzung Ausdruck der Absicht ist, das Werk als im Wesentlichen vertragsgemäß zu akzeptieren. Daran fehlt es, wenn die vorübergehende Nutzung nur der Minderung des ansonsten drohenden Betriebsausfallschadens dient.
4. Auch in Sachen von "existentieller Bedeutung" ist eine Beschlussentscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO statthaft, wenn eine mündliche Verhandlung keinen Erkenntnisgewinn verspricht.
Normenkette
BGB § 241 Abs. 1 S. 1, §§ 254, 323 Abs. 6, §§ 346, 633-635, 641; ZPO § 522
Verfahrensgang
LG Koblenz (Urteil vom 07.02.2012; Aktenzeichen 4 HK O 53/10) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 4. Kammer für Handelssachen des LG Koblenz vom 7.2.2012 wird zurückgewiesen. Damit ist die Anschlussberufung der Klägerin wirkungslos.
2. Von den Kosten des Berufungsverfahrens hat die Klägerin 4,39 % und die Beklagte 95,61 % zu tragen.
3. Das angefochtene Urteil und der Senatsbeschluss sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, sofern die Klägerin nicht vor der Vollstreckung eine entsprechende Sicherheit leistet.
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.647.087 EUR festgesetzt
(zuerkannte 1.549.737 EUR + Feststellung Annahmeverzug: 5000 EUR + Feststellung Schadensersatzpflicht: 20.000 EUR + Anschlussberufung: 72.350 EUR).
Gründe
I. Der Senat hat seine Absicht, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen, wie folgt erläutert:
"1. Die Klägerin begehrt die Rückabwicklung eines Vertrages, durch den die Beklagte sich verpflichtete, ihrer Vertragspartnerin ein Holzgas Heizkraftwerk betriebsfertig zu errichten. Dem Vertrag liegen die "VDMA - Bedingungen für die Lieferung von Maschinen für Inlandsgeschäfte" zugrunde. Im Juni 2009 sollte die Anlage fertiggestellt sein. Die Klägerin zahlte bis zu diesem Zeitpunkt 1.549.737 EUR, sah sich jedoch gezwungen, hiernach die Betriebsfertigkeit der Anlage mehrfach anzumahnen. Die Beklagte berief sich demgegenüber auf fehlende Eignung des von der Klägerin beschafften Brennmaterials. Nach ergebnislosen Verhandlungen über diese und andere Streitfragen erklärte die Klägerin am 30.4.2010 den Rücktritt vom Vertrag.
Dazu hat sie vorgetragen, die Anlage sei wegen erheblicher konstruktiver Mängel nicht funktionsfähig. Neben der zu verzinsenden Rückerstattung der 1.549.737 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe der Anlage hat die Klägerin die Feststellung des Annahmeverzugs mit der Rücknahmepflicht und einen Verzugsschaden von 99.448,36 EUR nebst Zinsen geltend gemacht. Letztlich hat sie die Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden begehrt.
Die Beklagte hat u.a. erwidert, die eingetretenen Verzögerungen seien ausschließlich darauf zurückzuführen, dass die Klägerin ungeeignetes Brennmaterial beschafft und damit die Anlage beschickt habe. Bei Einsatz der vertraglich vereinbarten Brennstoffe sei die Anlage funktionstüchtig.
2. Das LG, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat der Klage bis auf den Verzugsschaden von 99.448,36 EUR stattgegeben. Die Klägerin sei nach III. 7. der VDMA - Bedingungen und der dortigen Verweisung auf § 346 BGB wirksam zurückgetreten. Am 16.6.2009 habe die Klägerin die Fertigstellung bis zum 26.6.2009 ergebnislos angemahnt. Auch hiernach sei die Anlage jedoch nicht betriebsfähig gewesen, was die Klägerin zum Rücktritt berechtige. Dem stehe § 323 Abs. 6 BGB nicht entgegen. Das Holz für den Probebetrieb zu beschaffen, sei zwar Aufgabe der Klägerin gewesen. Indes habe die Funktionsfähigkeit mit unterschiedlichsten Holzsorten nicht herbeigeführt werden können. Vor diesem Hintergrund sei es Aufgabe der Beklagten gewesen, der Klägerin die zum Betrieb der Anlage erforderliche Holzsorte und -qualität sowie eine Bezugsquelle aufzuzeigen. Zum Abbau und Abtransport der Anlage sei die Beklagte durch das Kündigungsschreiben vom 30.4...