Leitsatz (amtlich)
Der Senat bleibt bei seiner Rspr., dass die Verhängung von Abschiebehaft gegen minderjährige Ausländer unverhältnismäßig ist, solange die beantragende Ausländerbehörde nicht substantiiert darlegt, dass sie andere Möglichkeiten der sichernden Unterbringung des Minderjährigen konkret geprüft und mildere Maßnahmen nicht zur Verfügung hat.
Normenkette
AuslG § 57
Verfahrensgang
AG Bonn (Aktenzeichen 51 XIV 188.B) |
LG Bonn (Aktenzeichen 4 T 479/02) |
Tenor
Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Bonn vom 28.10.2002 – 4 T 479/02 – abgeändert.
Es wird festgestellt, dass der Haftanordnungsbeschluss des AG Bonn vom 20.8.2002 – 51 XIV 188.B – rechtswidrig war.
Die Antragstellerin hat dem Betroffenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen zu erstatten.
Das Prozesskostenhilfegesuch des Betroffenen wird zurück gewiesen.
Gründe
Die nach der Zurückschiebung des Betroffenen in die T. im Verlaufe des Erstbeschwerdeverfahrens mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Abschiebungshaftanordnung zulässigerweise eingelegte sofortige weitere Beschwerde ist begründet.
Die Voraussetzungen für eine Haftanordnung lagen nicht vor.
Die Haftanordnung war schon deshalb unzulässig, weil der Betroffene erst 17 Jahre alt ist und die Antragstellerin in ihrem Haftantrag nicht dargelegt hatte, warum mildere Mittel zur Vermeidung von Abschiebungshaft nicht in Frage kommen, sie also Ziff. 2.1 i.V.m. Ziff. 1.1 Abs. 1, S. 4, Abs. 2 S. 3 der Richtlinien zur Vorbereitungs- und Sicherungshaft in der Fassung des Erlasses des Innenministeriums vom 17.7.2002 – 14.1/VI – 4.1.1 – nicht beachtet hat.
Minderjährige werden von der Vollziehung einer Haftanordnung erheblich betroffen und können hierdurch dauerhafte psychische Schäden davontragen. Bereits der verfassungsmäßige Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allen Verwaltungshandelns verpflichtet daher die Ausländerbehörde im Falle minderjähriger Ausländer alle Möglichkeiten zu prüfen, die auf mildere und weniger einschneidende Weise die beabsichtigte Abschiebung sichern können. Dass eine entspr. Prüfung erfolgt ist und warum mildere Mittel zur Vermeidung von Abschiebungshaft im Einzelfall nicht in Betracht kommen, ist daher im Haftantrag darzustellen, und zwar unabhängig von den Ergänzungen der Richtlinien zur Vorbereitungs- und Sicherungshaft durch den Erlass vom 17.7.2002, mit dem Grundsätze, die sich bereits unmittelbar aus der Verfassung ergeben, für die Ausländerbehörden umgesetzt worden sind. Fehlt es an einer solchen Darlegung im Haftantrag ist davon auszugehen, dass die Ausländerbehörde die erforderliche Prüfung unterlassen hat und daher die Haftvoraussetzungen nicht vorliegen (vgl. zum Ganzen: OLG Köln, Beschl. v. 11.9.2002 – 16 Wx 164/02).
Vorliegend enthält der Antrag keinerlei Darlegungen dazu, ob die Antragsgegnerin in die erforderliche Prüfung eingetreten ist. Es ist noch nicht einmal erkennbar, dass sie sich überhaupt der entspr. Problematik bewusst war. Alleine der Umstand, dass der Betroffene in einem Zug bei der Einreise aus der T. aufgegriffen worden war, er hier also offenbar keine Unterkunftsmöglichkeiten und/oder Kontakte zu etwaigen Vertrauenspersonen hatte, machte die Darlegung etwaiger milderer Maßnahmen, etwa im Hinblick auf eine Unterbringung in einer Jugendeinrichtung nicht entbehrlich.
2. Auf die weiteren von dem LG aufgeworfene Fragen, ob die Erklärung des Betroffenen vor dem Haftrichter, er beabsichtige in Deutschland Asyl zu beantragen ein Ersuchen um Asyl darstellt und ob es für ein solches Gesuch einer Begründung bedarf, kommt es nicht an. Der Senat hat allerdings Anlass darauf hinzuweisen, dass er an seiner u.a. in dem Beschluss vom 15.4.2002 (OLG Köln, Beschl. v. 15.4.2002 – 16 Wx 164/02, OLGReport Köln 2002, 365) vertretenen Rechtsauffassung festhält. Gerade in dem auch hier gegebenen Fall, dass ein Betroffener bei der Anhörung durch den Haftrichter nicht anwaltlich vertreten ist und wegen der Übermittlung von Äußerungen durch einen Dolmetscher Kommunikationsprobleme auftreten können, gebieten es § 12 FGG und das besondere Gewicht, dass dem Freiheitsgrundrecht zukommt, durch gezieltes Befragen zu klären und sodann im Protokoll unmissverständlich zu dokumentieren, was der Betroffene genau will. Entsprechendes gilt, soweit das LG meint, ein etwaiges Asylgesuch sei wegen der Einreise des Betroffenen aus einem sicheren Drittstaat unbeachtlich. Die von dem LG abgelehnte Auffassung des OLG Frankfurt in dem Beschluss vom 18.5.1998 (OLG Frankfurt, Beschl. v. 18.5.1998 – 20 W 193/98, AuAS 98, 99 = NVwZ 1998, Beilage Nr. 11, 125) wird sowohl vom Senat wie auch sonst in der obergerichtlichen Rspr. geteilt (vgl. z.B. OLG Köln, Beschl. v. 11.6.2001 – 16 Wx 73/01; vorher schon 9. Zivilsenat des OLG Köln v. 23.1.2001 – 9 Wx 4/01; KG v. 31.7.2000 – 25 W 9744/99, KGReport Berlin 2001, 48 = FGPrax 2001, 40). Die Ausführungen des LG geben auch insoweit keinen Anlass hiervon abzuweichen.
3. ...