Leitsatz (amtlich)
Im Falle der erzieherischen Nichteignung eines sorgeberechtigten Elternteils wegen bestehender erheblicher psychischer Erkrankungen mit daraus resultierende Gefährdung des Kindeswohls kommt ein Ruhen der elterlichen Sorge nach § 1674 BGB nicht in Betracht; erforderlich sind vielmehr staatliche Eingriffe nach § 1666 BGB.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1674
Verfahrensgang
AG Jülich (Beschluss vom 22.10.2015; Aktenzeichen 10 F 559/14) |
Tenor
Die Beschwerde der Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Jülich vom 22.10.2015 - 10 F 559/14 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdeführerin.
Die Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin vom 02.02.2016 wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe
I. Mit einstweiliger Anordnung vom 13.08.2014 (AG Jülich 10 F 555/14) hatte das AG der Kindesmutter die Sorge für das am 07.08.2014 geborene Kind M entzogen und das Jugendamt E als Vormund eingesetzt. Dem lag zugrunde, dass die Mutter am 11.08.2014 (also vier Tage nach Entbindung) einen Selbstmordversuch unternommen hatte, was sie auch bereits im Verlauf der Schwangerschaft versucht hatte. Sie leidet unter einer Borderline-Störung und einer schweren dissozialen Störung.
Das Kind war zunächst - und ist auch aktuell wieder - in einer Pflegefamilie. Es leidet unter einer Corpus-Callosum-Agenesie, bei welcher der Balken im Gehirn, der beide Gehirnhälften miteinander verbindet, nicht richtig ausgebildet ist; die Folgen hiervon sind aktuell nicht abzusehen, es muss aber z.B. mit Defiziten in den Sinneswahrnehmungen gerechnet werden.
Im erstinstanzlichen Verfahren hatte die Kindesmutter erklärt, sie beabsichtige "weder die Rückführung des Kindes noch ihre Übertragung der elterlichen Sorge auf sich", weil aufgrund ihres derzeitigen Gesundheitszustandes ein solches Begehren nicht in Betracht komme (Bl. 11 d.A.). Im Parallelverfahren 10 F 600/15 AG Jülich = 10 UF 178/15 OLG Köln, in welchem der Kindesvater die Übertragung der Alleinsorge auf sich beantragt hat, hat das AG ein psychologisches Sachverständigengutachten eingeholt, für welches beide Eltern untersucht worden sind.
Mit Beschluss vom 22.10.2015 hat das AG im Hauptsacheverfahren die elterliche Sorge entzogen und Vormundschaft angeordnet; zur Begründung hat es ausgeführt, auch nach dem Ergebnis der sachverständigen Begutachtung sei die Kindesmutter nicht in der Lage, die elterliche Sorge auszuüben. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Kindesmutter, mit welcher diese die Übertragung des alleinigen Sorgerechts erstrebt. Sie ist der Ansicht, die Entscheidung sei nicht hinreichend begründet; sie sei mit der Fremdunterbringung, nicht aber mit dem Sorgerechtsentzug einverstanden gewesen.
II. Die zulässige Beschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.
Die Gründe ergeben sich aus dem Beschluss des Senats vom 27.01.2016 (Bl. 68 ff. d.A.), auf den zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird. Das weitere Vorbringen der Beschwerdeführerin gibt lediglich Anlass zu folgenden Ausführungen:
Ein Eingriff in die Personensorge setzt nach §§ 1666, 1666a BGB das Vorliegen einer erwiesenen Gefährdung des körperlichen, geistigen oder seelischen Kindeswohls voraus und den Umstand, dass die Eltern nicht bereit oder nicht in der Lage sind, diese Gefahr von dem Kind abzuwenden. Eine solche Kindeswohlgefährdung liegt dann vor, wenn eine gegenwärtig in einem solchen Maß vorhandene Gefahr besteht, dass sich bei seiner weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung des Kindes mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (Palandt-Götz, BGB, 75. Aufl. (2016), § 1666 Rn. 8). Dies ist - worauf der Senat in dem vorbezeichneten Beschluss auch hingewiesen hat - vorliegend u.a. nach den gutachterlichen Erkenntnissen im Verfahren 10 F 600/14 = 10 UF 178/15 der Fall und wird letztlich von der Beschwerdeführerin nicht angegriffen.
Ihr Hinweis, § 1673 BGB sei missachtet worden, geht fehl.
Zwar mag es sein, dass Maßnahmen des Ruhens der elterlichen Sorge nach §§ 1673, 1674 - da regelmäßig von geringerer Eingriffsintensität - dem Vorgehen nach § 1666 BGB vorrangig sind (so Palandt-Götz, 75. Aufl. (2016), § 1675, Rn. 1; andere Ansicht Staudinger-Coester, BGB, (2016), § 1674, Rn. 6). Die Voraussetzungen des § 1673 BGB - auf welchen sich die Antragstellerin bezieht - liegen indes ebenso wenig vor wie die des § 1674 BGB.
1. Erst im Falle der Geschäftsunfähigkeit des Elternteils ruht die elterliche Sorge (§ 1673 Abs. 1 BGB) mit der möglichen Folge einer alleinigen Sorgerechtsberechtigung des anderen Elternteils (§ 1678 Abs. 1 BGB). Das Institut der Betreuung, welche für die Kindesmutter angeordnet ist, hat indes keinen Einfluss auf die Geschäftsfähigkeit des Betreuten; die Annahme einer Geschäftsunfähigkeit der Antragstellerin ist aus Sicht des Senates auch fernliegend und wird auch von den Beteiligten nicht angeführt.
Auch im Übrigen hat die Bestellung eines Betreuers für den sorgeberechtigten Elternteil keine Auswirkungen auf die elterliche Sorge und bein...