Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Betreuungsanordnung bei unzureichender Begutachtung aufgrund fehlender Kooperation des Betroffenen
Leitsatz (amtlich)
Hat der vom Gericht beauftragte Gutachter wegen fehlender Kooperationsbereitschaft der Betroffenen ohne deren Untersuchung aufgrund seines Eindrucks und von Drittinformationen lediglich den "dringenden Verdacht" einer psychischen Erkrankung festgestellt, so rechtfertigt dies nicht die Anordnung einer Betreuung. Der Tatrichter hat in einem solchen Fall eine ergänzende Begutachtung zu veranlassen und ggf. Anordnungen nach § 68b Abs. 3, 4 FGG zu erlassen.
Normenkette
FGG § 68b; BGB § 1896 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Bonn (Beschluss vom 15.03.2005; Aktenzeichen 4 T 95/05) |
AG Siegburg (Aktenzeichen 43-XVII W 286) |
Tenor
Auf die weitere Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des LG Bonn vom 15.3.2005 - 4 T 93/05 - aufgehoben.
Die Sache wird zur weiteren Behandlung und erneuten Entscheidung an das LG zurückverwiesen.
Gründe
Die weitere Beschwerde ist zulässig. In der Sache führt sie zur Aufhebung der Beschwerdeentscheidung und zur Zurückverweisung an das LG, dessen Entscheidung aus Rechtsgründen (§§ 27 Abs. 1 FGG, 546 ZPO) nicht bestehen bleiben kann.
Der Anordnung der Betreuung liegen keine hinreichend sicher festgestellten Tatsachen zugrunde. Das LG wäre vielmehr gehalten gewesen, eine erneute Begutachtung anzuordnen.
Aus dem in erster Instanz eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. Q ergibt sich nicht mit hinreichender Sicherheit, dass die Betroffene an einer psychischen Erkrankung leidet und sie deswegen ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann (§ 1896 Abs. 1 BGB). Die Gutachterin hat die Betroffene nicht persönlich untersucht, weil diese ein Gespräch mit ihr abgelehnt hat, ist aber dennoch aufgrund ihres Eindrucks von der Person der Betroffenen und aufgrund weiterer, von ihrem Sohn erteilter Informationen zu dem Ergebnis gekommen, dass der dringende Verdacht auf eine anhaltende wahnhafte Störung vorliege. Allein ein Verdacht genügt für die Erfüllung des medizinischen Tatbestandes des § 1896 Abs. 1 BGB aber nicht (OLG Köln, Beschl. v. 23.2.2000 - 16 Wx 33/2000, OLGReport Köln 2000, 396; BayObLG v. 26.1.1995 - 3Z BR 366/94, FamRZ 1995, 1082 f.). Es ist auch nicht ersichtlich, dass der kurze persönliche Eindruck, den die Sachverständige bei ihrem Besuch in der Wohnung gewonnen hat, eine tragfähige Beurteilungsgrundlage bietet. Damit steht aufgrund des Gutachtens nicht fest, dass die Betroffene tatsächlich an einer psychotischen Störung oder einer sonstigen psychischen Erkrankung leidet. Die Anhörung der Betroffenen durch das AG, auf die das LG sich bei seinen Feststellungen zu den Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 BGB auch gestützt hat, ersetzt, zumal sie nicht durch die Richterin erfolgt ist, die den erstinstanzlichen Betreuungsbeschluss vom 21.2.2005 erlassen hat, nicht ärztliche Fachkompetenz.
Auch wenn unabhängig von der Begutachtung verschiedene Umstände - namentlich im Zusammenhang mit der von der Betroffenen selbst vorgelegten Begründung der weiteren Beschwerde - und weitere Tatsachen im Verhalten der Betroffenen - nämlich die möglichen Selbstverletzungen - vorliegen, die den Erklärungsversuch der Sachverständigen stützen, und die Betroffene nicht kooperationsbereit war, erübrigte sich hierdurch die Klärung der Voraussetzungen des § 1896 Abs. 1 BGB nicht. Jedenfalls kann die fehlende Kooperationsbereitschaft der Betroffenen nicht dazu führen, dass sich der Tatrichter mit einer unvollständigen Exploration und einer hierdurch bedingten Beurteilung begnügt, die eine psychische Erkrankung nur als wahrscheinlich erscheinen lässt. Vielmehr gibt das Gesetz ihm in § 68b Abs. 3, 4 FGG auch für diesen Fall Möglichkeiten zur Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Begutachtung an die Hand (OLG Köln, Beschl. v. 16.9.1998 - 16 Wx 121/98, OLGReport Köln 1999, 38 = FamRZ 1999, 873 = NJWE-FER 1999, 90; Vorinstanz: LG Bonn - 4 T 306/98).
Bildet das in erster Instanz eingeholte Gutachten keine hinreichende Tatsachengrundlage, so ist es verfahrensfehlerhaft, wenn das Beschwerdegericht sich gem. § 69g Abs. 5 S. 4 FGG hierauf stützte und von einer erneuten bzw. ergänzenden Begutachtung nach S. 1 dieser Norm i.V.m. § 68b FGG absieht.
Bei der erneuten Sachenentscheidung wird das LG auch dem Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten der Betroffenen zu einer anderweitigen freiwilligen neurologisch-psychiatrischen Behandlung nachzugehen und zu berücksichtigen haben.
Abschließend sei die Betroffene darauf hingewiesen, dass die Aufhebung der Entscheidung des LG die von dem AG getroffenen Anordnungen unberührt lässt, also die Betreuung in dem ursprünglich angeordneten Umfang zunächst einmal bis zu einer etwaigen anderweitigen Entscheidung des LG fortbesteht. Sie sollte auch bedenken, dass sie eine ihr günstige Entscheidung nur erwirken kann, wenn sie an der Aufklärung des Sachverhalts mitwirkt. Es liegt daher in ihrem eigenen Interesse, dass sie ihr...