Entscheidungsstichwort (Thema)

Geschütztes Vertrauen für Einbiegenden in eine Vorfahrtstraße

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Kraftfahrer, der in eine Vorfahrtstraße einbiegt, darf darauf vertrauen, dass ein auf der Vorfahrtstraße fahrender Kraftfahrer das für ihn geltende Rotlicht einer Fußgängerampel beachtet. Kommt es aufgrund der Missachtung des Rotlichts zu einem Zusammenstoß der Fahrzeuge, kann die Haftung des Vorfahrtberechtigten für 2/3 des entstandenen Schadens gerechtfertigt sein.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 1; StVG §§ 7, 17; StVO §§ 8, 37

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Aktenzeichen 9 O 259/99)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 17.8.2001 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Aachen – 9 O 259/99 – wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung fallen den Beklagten als Gesamtschuldnern zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Das LG hat der Klage zu Recht teilweise stattgegeben. Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Ersatz von 2/3 des ihm bei dem Verkehrsunfall am 2.2.1999 entstandenen Schadens aus den §§ 823 Abs. 1, 847, 254 BGB, §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1, 3 StVG, § 3 Nr. 1, 2 PflVG. Der Senat folgt in vollem Umfang den zutreffenden Ausführungen des LG und nimmt darauf Bezug. Die Angriffe der Berufung überzeugen dagegen nicht. Ergänzend sei Folgendes ausgeführt:

1. Die Aussage der Zeugin S.-L. war im Ermittlungsverfahren und im vorliegenden Rechtsstreit eindeutig. Klarer kann eine Zeugin nicht bekunden, dass sie ein Fahrzeug bei für dieses leuchtendem Rotlicht und eigenem Grünlicht hat vorbei fahren sehen. Wohin die Zeugin in der Annäherungsphase geschaut hat, ist dem gegenüber unerheblich. Dafür, dass die Zeugin das Fahrzeug schon bei Rotlicht hat durchfahren sehen, obwohl die Verkehrsampel für den Beklagten zu 1) in der Annäherungsphase noch Grün- oder Gelblicht zeigte, ist nichts vorgetragen und auch nichts ersichtlich.

2. Wenn die Fußgängerampel für den Fahrverkehr Rotlicht zeigte, konnte sich der Kläger in gewissem Umfang darauf verlassen, der sich der Ampel nähernde – an sich vorfahrtberechtigte – Beklagte zu 1) werde dies beachten und er könne in die Straße einfahren. Dies ist bereits mehrfach entschieden worden (vgl. BGH v. 2.3.1982 – VI ZR 230/80, NJW 1982, 1756 = MDR 1982, 841; OLG Celle v. 23.12.1998 – 3 U 46/98, OLGReport Celle 2000, 85 f.; OLG Düsseldorf v. 16.12.1991 – 1 U 138/90, OLGReport Düsseldorf 1992, 130 [131]; OLG Hamm v. 20.3.1996 – 27 U 240/96, OLGReport Hamm 1997, 162 f.; OLGReport Hamm 1998, 131 f.). Der Senat hält diese Rechtsprechung für zutreffend. Die Vorfahrt im Straßenverkehr ist kein absolutes Recht, dessen Verletzung schon ein Verschulden indiziert. Sie ist vielmehr Bestandteil des Systems der verkehrsrechtlichen Verhaltensregeln. Dazu gehört auch der Grundsatz, dass ein Verkehrsteilnehmer, soweit nicht besondere Umstände dagegen sprechen, darauf vertrauen kann, dass andere Verkehrsteilnehmer die für sie maßgeblichen Vorschriften beachten. Eine flüssige Abwicklung des Straßenverkehrs ist nur möglich, wenn ein Verkehrsteilnehmer ohne besonderen Anlass zu Misstrauen davon ausgehen kann, dass andere sich verkehrsgerecht verhalten. Dieses Vertrauen durfte der Kläger nach den getroffenen Feststellungen hier in Anspruch nehmen.

3. Die Quote von 2/3 zu 1/3 zu Lasten dessen, der die Rotlicht anzeigende Ampel überfährt (hier: Beklagter zu 1), ist nicht zu beanstanden (vgl. auch OLG Hamm v. 20.3.1996 – 27 U 240/96, OLGReport Hamm 1997, 162 f.; OLGReport Hamm 1998, 131 f.).

4. Zur Schadenshöhe erhebt die Berufung keine Einwände.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen (§ 543 ZPO n.F.). Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Der BGH hat die Frage, ob ein Kraftfahrer darauf vertrauen darf, ein an sich Vorfahrtberechtigter werde das Rotlicht einer Fußgängerampel beachten, bereits entschieden; dem sind, wie ausgeführt, bereits mehrere OLG gefolgt.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt nicht 20.000,00? (§ 26 Ziffer 8 EGZPO).

Berufungsstreitwert: 2.675,44 EUR (= 5.232,71 DM)

Dr. Pastor Hartlieb Zoll

 

Fundstellen

Haufe-Index 1107078

DAR 2002, 316

NZV 2003, 414

OLGR Düsseldorf 2002, 58

OLGR Frankfurt 2002, 58

OLGR Hamm 2002, 58

OLGR Köln 2002, 215

OLGR Köln 2002, 58

VersR 2002, 1302

KG-Report 2002, 58

OLGR-BHS 2002, 58

OLGR-CBO 2002, 58

OLGR-KSZ 2002, 58

OLGR-KS 2002, 58

OLGR-MBN 2002, 58

OLGR-NBL 2002, 58

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