Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 16.10.2015; Aktenzeichen 5 HK O 20285/14) |
Tenor
Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die in dem Verfahren C-566/15 vom Kammergericht Berlin mit Beschluss vom 16.10.2015 (Az. 14 W 89/15) vorgelegte Frage wegen Vorgreiflichkeit gemäß § 99 Abs. 1 AktG i.V.m. § 21 FamFG ausgesetzt.
Gründe
I. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Statusverfahrens nach §§ 98, 99 AktG darüber, ob der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin richtig zusammengesetzt ist. Die Antragsgegnerin ist die Muttergesellschaft eines internationalen Handels- und Dienstleistungskonzerns mit den Kernsegmenten Agrar, Energie und Bau. Sie beschäftigte zum 30.9.2014 in Deutschland 11.900, in Europa 15.361 Arbeitnehmer. Der Aufsichtsrat besteht aus 16 Mitgliedern, von denen die Hälfte die Anteilseigner und die andere Hälfte die Arbeitnehmer stellen.
Der Antragsteller begehrt die Feststellung, dass der Aufsichtsrat nicht nach § 7 Abs. 1 Nr. 2, § 10 Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) iVm §§ 7, 8 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) paritätisch, sondern gemäß § 96 Abs. 1 Var. 6 AktG nur aus Aufsichtsratsmitgliedern der Aktionäre zusammenzusetzen sei. Der Antragsteller begründet den Antrag mit der Auffassung, die Vorschriften des deutschen Mitbestimmungsrechts über die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat verstießen gegen Unionsrecht, namentlich gegen das Diskriminierungsverbot gemäß Art. 18 AEUV und gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV, weil sie das aktive und passive Wahlrecht nur den deutschen Belegschaften zugestehen, nicht aber auch den Belegschaften in anderen Staaten der Europäischen Union. Aufgrund ihrer Unionsrechtswidrigkeit dürften die geltenden Mitbestimmungsregeln nicht mehr angewandt werden.
Gegen den zurückweisenden Beschluss des LG München I hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt.
Mit Beschluss vom 16.10.2015 (Az. 14 W 89/15) hat das Kammergericht Berlin in einem vergleichbaren Fall dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist es mit Art. 18 AEUV (Diskriminierungsverbot) und Art. 45 AEUV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer) vereinbar, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind?
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 7.12.2015 die Aussetzung des Verfahrens nach § 21 FamFG im Hinblick auf jenes Vorlageverfahren beim EuGH beantragt.
Die Antragsgegnerin spricht sich gegen eine Vorlage an den EuGH und gegen eine Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf jenes Vorlageverfahren aus. Einer Vorlage bedürfe es nicht, weil die richtige Auslegung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts im vorliegenden Fall offenkundig sei, die Vorschriften des deutschen Mitbestimmungsrechtes jedenfalls europarechtskonform ausgelegt werden könnten und schließlich die Frage nicht entscheidungserheblich sei. Für eine Aussetzung fehle die Vorgreiflichkeit bzw. Entscheidungserheblichkeit, weil die Vorschriften des Mitbestimmungsrechtes offenkundig mit Unionsrecht vereinbar oder jedenfalls unionsrechtskonform anwendbar seien.
II. Das Verfahren ist nach § 99 Abs. 1 AktG i.V.m. § 21 FamFG analog wegen Vorgreiflichkeit der vom Kammergericht in seinem Vorlagebeschluss an den EuGH gestellten Frage auszusetzen.
1. Eine Aussetzung entsprechend § 21 FamFG ist zulässig, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits von der Beantwortung einer Rechtsfrage abhängt, die das Gericht dem Gerichtshof der Europäischen Union zur Vorabentscheidung nach Art. 267 AEUV vorlegen müsste und die bereits Gegenstand eines anderen Vorabentscheidungsersuchens im Rahmen eines anderen Verfahrens ist (vgl. BGH, IR 2012, 111 Rn. 4 ff. m.w.N.; OLG Frankfurt, AG 2016, 793 Rn. 6 ff.).
2. Die Entscheidung des hiesigen Verfahrens hängt maßgeblich von der Beantwortung der dem EuGH vom Kammergericht vorgelegten Frage ab, so dass diese vorgreiflich i.S.d. § 21 FamFG ist. Ob die Beschränkung des aktiven und passiven Wahlrechts auf im Inland tätige Arbeitnehmer einer Aktiengesellschaft gegen Unionsrecht verstößt, ist für das vorliegende Statusverfahren entscheidungserheblich.
a) Das vorliegende Statusverfahren ist nicht bereits unzulässig. Der Antrag ist darauf gerichtet festzustellen, dass der Aufsichtsrat deshalb nicht richtig zusammen gesetzt sei, weil er wegen Unionsrechtsverstoßes der maßgeblichen deutschen Mitbestimmungsvorschriften nach § 96 Abs. 1 Var. 6 AktG nichtparitätisch allein aus Anteilseignern zu besetzen wäre. Es handelt sich um einen Statusstreit über die Zusammensetzung des Aufsichtsrats (Fischer, NZG 2014, 737, 738; OLG Frankfurt, ZIP 2016, 2223 Rn. 10; im Ergebnis auch KG, ZIP 2015, 2172 Rn. 30; vgl. Oetker in Erfurter Kommentar, 17. Aufl. [2017] § 99 AktG Rn. 2; Drygala in Schmidt/Lutter, AktG, 3. Aufl., [2015] §...