Leitsatz (amtlich)
1. Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses entfällt nicht schon dadurch, dass das aus seiner Sicht unzuständige AG, statt nach § 504 ZPO zu belehren, es unterlässt, die Entscheidung des Beklagten abzuwarten, ob er rügelos zur Hauptsache verhandeln will (Abweichung zu BayObLG vom 14.10.2002 - 1Z AR 140/02, NJW 2003, 366).
2. Keine Willkür des Verweisungsbeschlusses, wenn das angerufene AG eine im kaufmännischen Verkehr verwendete Gerichtsstandsklausel für unwirksam erachtet, nach der ohne sonstige Bezugspunkte als Gerichtsstand eine in der Nähe zum Sitz des Verwenders befindliche Großstadt bestimmt ist.
Normenkette
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6, §§ 38, 281, 504; BGB § 307
Verfahrensgang
AG Böblingen (Aktenzeichen 21 C 920/12) |
AG München (Aktenzeichen 262 C 33364/11) |
Tenor
Örtlich zuständig ist das AG Böblingen.
Gründe
I. Die in Freilassing (Amtsgerichtsbezirk Laufen) ansässige Klägerin nimmt die in Sindelfingen (Amtsgerichtsbezirk Böblingen) ansässige Beklagte als Inhaberin eines Maßateliers aus Werkvertrag (Vermittlung sog. Firmeneinträge in einem Internetportal) in Anspruch. Ihre Forderung von (in der Hauptsache) 2128,18 EUR hat sie mittels Mahnbescheids vom 31.1.2011 geltend gemacht, der der Beklagten am 3.2.2011 zugestellt wurde. Als Prozessgericht, an das im Falle des Widerspruchs das Verfahren abgegeben wird, ist das AG München benannt. Die Beklagte hat am 22.2.2011 Widerspruch eingelegt. Die Anspruchsbegründung stammt vom 22.12.2011. Beim AG München gingen die Akten am 29.12.2011 ein. Auf die Zustellung der Anspruchsbegründung und die Ladung zum frühen ersten Termin hat die Beklagte durch Anwaltsschriftsatz geantwortet, ohne die Zuständigkeit zu rügen.
Mit Verfügung vom 13.4.2012 hat das AG München den Termin vom 18.4.2012 aufgehoben mit der Begründung, das Gericht sei unzuständig aufgrund willkürlicher und damit unwirksamer Gerichtsstandsvereinbarung; es fehle jeglicher Bezug zu München. Die Klägerin hat hierauf Verweisung an das AG Böblingen als örtlich zuständiges Gericht beantragt. Dem hat das AG München mit Beschluss vom 2.5.2012 entsprochen.
Das AG Böblingen hält sich seinerseits für örtlich unzuständig. Es hat nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 2.8.2012 den Rechtsstreit zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit dem "BayObLG" vorgelegt. Es hält den Verweisungsbeschluss des AG München für nicht bindend. Zur Frage der Zuständigkeit sei kein rechtliches Gehör gewährt worden. Das AG München habe unberücksichtigt gelassen, dass die Beklagte, ohne eine angenommene Unzuständigkeit geltend zu machen, zur Hauptsache mündlich verhandeln könne. Dies hätte die Zuständigkeit des AG München begründet; insoweit sei keine Belehrung erfolgt. Das verweisende Gericht habe auch in keiner Weise geprüft, ob die Gerichtsstandsvereinbarung in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin wirksam sei. Es fehle eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der herrschenden Rechtsprechung, wonach eine Gerichtsstandsklausel unter Kaufleuten, die nicht an den Sitz des Verwenders, sondern an eine in der Nähe liegenden Großstadt anknüpfe, wirksam sei. Hätte das AG München, abweichend hiervon, eine unwirksame Gerichtsstandsvereinbarung annehmen wollen, hätte es sich nach einem erkennbaren Abwägungs- und Entscheidungsprozess bewusst einer Mindermeinung anschließen müssen. Derartiges könne weder dem Verweisungsbeschluss noch dem Akteninhalt entnommen werden.
Schließlich habe die Klägerin bereits in ihrem Antrag auf Erlass eines Mahnbescheids das AG München als Prozessgericht gewählt. Diese Wahl sei unwiderruflich und bindend.
II. Zur Bestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO zuständig ist das OLG München, weil zu dessen Bezirk das zuerst mit der Sache befasste Gericht, das AG München, gehört. Das früher für die drei bayerischen Oberlandesgerichtsbezirke zuständige BayObLG ist mit Ablauf des 30.6.2006 endgültig aufgelöst worden und damit als bestimmendes Gericht gem. § 36 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 9 EGZPO ausgeschieden (s. Zöller/Vollkommer ZPO, 29. Aufl., § 36 Rz. 4 a.E.; Zöller/Heßler § 9 EGZPO Rz. 1 und 2). Die Entscheidung über das zuständige Gericht ist in den Fällen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO von Amts wegen auf Vorlage eines der am Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zu treffen (ständige Rechtsprechung; s. Zöller/Vollkommer § 37 Rz. 2 m.w.N.). Es kann davon ausgegangen werden, dass das AG Böblingen die Entscheidung des Konflikts durch das zuständige Gericht - dem die Akten auch vorgelegt wurden - herbeiführen wollte.
Örtlich zuständig ist jedenfalls aufgrund des bindenden Verweisungsbeschlusses des AG München vom 2.5.2012 das AG Böblingen.
1. Nach § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO ist ein Verweisungsbeschluss grundsätzlich unanfechtbar und für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Das bestimmende Gericht hat dies im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten, so dass der erste mit verfahrensrechtlicher Bindungswirkung erlassene Verweisungsbeschluss im Bestimmungsverfahren fortwirkt (vgl. etwa BayO...