Entscheidungsstichwort (Thema)
Übertragung des Alleinentscheidungsrechts auf einen Elternteil
Leitsatz (redaktionell)
Eine gerichtliche Entscheidung bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern setzt voraus, dass erhebliche Belange des Kindes betroffen sind. Streiten sich Eltern um Fragen, die die Belange des Kindes nicht betreffen, ist eine gerichtliche Entscheidung unzulässig.
Normenkette
BGB § 1628 Abs. 1
Verfahrensgang
AG Rosenheim (Beschluss vom 07.11.2007; Aktenzeichen 4 F 1773/07) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des AG Rosenheim vom 7.11.2007 aufgehoben. Der Antrag vom 17.8.2007 wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin zu tragen. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1. Die Parteien sind die Eltern des Kindes T., geb. 21.2.1995. Sie leben dauernd voneinander getrennt. Die elterliche Sorge über den Sohn steht ihnen gemeinsam zu.
T. lebt abwechselnd beim Vater und bei der Mutter. Er besucht die Schule am Wohnsitz der Mutter in K. Über die Besuche beim Vater entscheidet er selbst. Der Vater und Antragsgegner bezieht Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II, wobei er mit dem Sohn eine Bedarfsgemeinschaft ggü. der ARGE angegeben hat und ihn mit erstem Wohnsitz bei sich angemeldet hat. Die Mutter und Antragstellerin wurde daraufhin von der ARGE zur Leistung von Barunterhalt für den Sohn aufgefordert.
Die Parteien streiten daher über die Anmeldung des Erstwohnsitzes für den Sohn. Jede Partei behauptet, T. lebe überwiegend bei ihr.
Das AG-FamG Rosenheim hat auf Antrag der Mutter mit Beschluss vom 7.11.2007 die Befugnis zur Entscheidung, wo der gemeinsame Sohn seinen Erstwohnsitz nach dem Meldegesetz hat, sowie die Befugnis, dies dem Einwohnermeldeamt ggü. mitzuteilen, allein auf die Mutter und Antragstellerin übertragen.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Vaters und Antragsgegners, der vorträgt, T. habe seinen Lebensmittelpunkt beim Vater. Er wünscht eine Aufhebung des Beschlusses und eine Zurückweisung des Antrags der Mutter.
2. Die Beschwerde ist nach §§ 621e I, 621 I Nr. 1 ZPO zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Nach § 11 BGB teilt ein minderjähriges Kind den Wohnsitz seiner Eltern. Leben die Eltern getrennt, hat das Kind bis zu einer Entscheidung gem. § 1671 BGB einen doppelten Wohnsitz. Die Eltern können eine abweichende Bestimmung treffen. Sind sie sich darüber einig, dass das Kind auf Dauer bei einem Elternteil bleiben soll, hat das Kind nur bei diesem seinen Wohnsitz (BGH NJW-RR 1994, 322). Bloßes Dulden des Aufenthalts beim anderen Ehegatten genügt aber nicht.
Im vorliegenden Fall streiten die Eltern darüber, bei wem der Sohn Überwiegend lebt. Eine Einigung über den Lebensmittelpunkt des Kindes kam nicht zustande. Damit teilt der Sohn T. den Wohnsitz beider Eltern und hat daher einen doppelten Wohnsitz, bis in einem Verfahren über die elterliche Sorge bzw. das Aufenthaltsbestimmungsrecht eine Entscheidung getroffen worden ist.
Das vorliegende Verfahren ist deshalb nicht geeignet, diese Frage zu klären. Die familiengerichtliche Entscheidungskompetenz ist in § 1628 I BGB auf "einzelne Angelegenheiten oder eine bestimmte Art von Angelegenheiten" begrenzt. Die genaue Grenzziehung ist schwierig. Je weiter man den Anwendungsbereich des § 1628 BGB fasst, desto näher geraten die Wirkungen einer nach § 1628 ergangenen Entscheidung an einen Teilentzug der elterlichen Sorge. Vor einen Teilentzug setzt das BGB jedoch in den §§ 1666 ff. deutlich höhere Hürden als vor die Einzelentscheidung nach § 1628. Um diese strengen Voraussetzungen der §§ 1666 ff. nicht auszuhöhlen, ist es erforderlich, den Anwendungsbereich des § 1628 eng zu fassen (OLG Zweibrücken FamRZ 2001, 186).
Die Anrufung des FamG steht den Eltern nur dann offen, wenn die Regelung der streitigen Angelegenheiten "für das Kind von erheblicher Bedeutung ist". Mit diesem Erfordernis soll verhindert werden, dass die Eltern auch wegen belangloser Meinungsverschiedenheiten das FamG anrufen und ihre Verantwortung auf dieses abwälzen. Ob eine Angelegenheit erhebliche Bedeutung hat, hängt nach dem Gesetzeswortlaut von den Auswirkungen auf das Kind ab. Jedenfalls kann man die erhebliche Bedeutung nicht allein deshalb bejahen, weil sich die Eltern nicht einigen können.
Streiten die Eltern jedoch wie im vorliegenden Fall um Fragen, deren Regelung ohne erhebliche Bedeutung für das Kind ist, hat das Gericht eine Entscheidung abzulehnen, weil andernfalls die elterliche Sorge nicht mehr bei den Eltern, sondern beim Richter läge. Solche Konflikte bleiben daher unentschieden mit der Folge, dass jeder Elternteil ggü. den vom anderen geplanten Maßnahmen in Bagatellsachen eine Art Vetorecht hat (Mueko BGB, 4. Aufl., § 1628 Rz. 15).
Hier geht es unzweifelhaft nicht um Belange des Kindes, sondern um finanzielle Interessen beider Eltern. Der Sohn lebt ents...