Entscheidungsstichwort (Thema)
Versuch der Ausweitung des Dieselskandals auf andere Hersteller - hier: BMW
Leitsatz (amtlich)
1. Eine "unzulässige Abschalteinrichtung" i.S.v. Art. 3 Nr. 10 Verordnung (EG) Nr. 715/2007 liegt nur vor, wenn (1) ein "Konstruktionsteil" im genau zu bezeichnenden Motor des jeweiligen Fahrzeugs vorhanden ist, (2) das in bestimmten, genau zu bezeichnenden Umwelt- oder Fahrsituationen die Abgasreinigung reduziert oder abschaltet, und (3) dies nicht notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.
2. Die Umstände gem. (1) und (2) muss der Anspruchsteller voll darlegen und ggf. auch nachweisen. Zur Abgrenzung von grundsätzlich unbeachtlichem Vortrag ins Blaue muss er hierfür auch greifbare Anhaltspunkte aufzeigen. Auch zum Bereich (3) wird man zunächst zumindest eine allgemeine Darlegung des Anspruchstellers mit entsprechenden greifbaren Anhaltspunkten erwarten müssen. Erst dann kann den beklagten Autohersteller im Einzelfall eine sekundäre Darlegungslast zur technischen Notwendigkeit einer Abschalteinrichtung treffen. Die Beweislast für die fehlende technische Notwendigkeit trifft dann wieder den Anspruchsteller.
3. Dass eine Abschalteinrichtung, die dazu dient, bei erkanntem Prüfstandbetrieb ein vom Echtbetrieb abweichendes Emissionsverhalten des Fahrzeugs herbeizuführen (sog. "Manipulationssoftware"; hier nicht hinreichend vorgetragen), in diesem Sinne unzulässig wäre, liegt zwar auf der Hand. Der Streit um Zulässigkeit und Größe eines sog. "Thermofensters" (hier ebenfalls nicht hinreichend vorgetragen) würde dagegen einen Expertenstreit darstellen, für den andere Darlegungsanforderungen gelten. Das hat auch Rückwirkungen auf Darlegung und Nachweis des Vorsatzes in der jeweiligen Fallgestaltung.
Normenkette
AEUV Art. 267 Abs. 3; AEV Art. 277; BGB §§ 31, 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1; EU-VO Nr. 715/2007 Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2; GKG §§ 47-48
Verfahrensgang
LG München I (Urteil vom 21.02.2019; Aktenzeichen 26 O 8167/18) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 21.02.2019, Az. 26 O 8167/18, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Dieser Beschluss sowie das in Ziff. 1 genannte Urteil des Landgerichts München I sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 45.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Tatsächliche Feststellungen
Der Kläger begehrt von der Beklagten Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Fahrzeugs wegen dort angeblich verbauter unzulässiger Abschalteinrichtungen.
Der Kläger erwarb am 09.12.2016 von einem BMW - Vertragshändler ein Neufahrzeug der Marke Pkw BMW Typ 420d zum Preis von 48.206 EUR. Mit Schreiben vom 13.04.2018 hat er den Kaufvertrag angefochten und den Rücktritt von diesem erklärt.
Der Kläger vertritt die Rechtsauffassung, die Beklagte hafte ihm auf Schadensersatz aus Delikt, da diese bzw. deren verfassungsmäßig berufene Vertreter (bzw. Mitarbeiter der Beklagten, für die diese kraft Organisationsverschulden hafte) sittenwidrig und vorsätzlich dafür Sorge getragen hätten, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine durch Einsatz von sog. Manipulationssoftware - "ein ähnliches System wie es die V. AG entwickelte und die die in den Medien als "Dieselgate" bezeichnete Krise bei Volkswagen auslöste" (Bl. 6) - unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei, die zum Überschreiten der gesetzlichen Abgasgrenzwerte führe. Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 07.02.2019 behauptete er nach Schluss der mündlichen Verhandlung erstinstanzlich zudem, dass in dem Fahrzeug auch eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines unzulässigen Thermofensters in deliktisch relevanter Weise eingebaut worden sei (zur Chronologie des klägerischen Vortrages, s. a. Schriftsatz der Beklagten vom 19.02.2019, Bl. 113/ 121).
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird gemäß § 540 I Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts München I vom 21.02.2019 Bezug genommen. Änderungen oder Ergänzungen haben sich nur insoweit ergeben, als der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 19.08.2019 (Bl. 248) erstmals vorträgt, dass ihm die "Tatsachen" gemäß Schriftsatz vom 07.02.2019 erst mit Zugang des am 17.01.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Stuttgart, mithin nach Schluss der mündlichen Verhandlung, bekannt geworden seien. Eine Verspätung sei nicht anzunehmen, da der Vortrag offensichtlich unverschuldet spät erfolgt sei. Gleiches gelte für den Vortrag zu technischen Ausführungen und Messwerten in dem Schriftsatz vom 05.06.2019, die ihm erst kurz zuvor nach Verhandlungen mi...