Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz, Berufung, Anleger, Kapitalanlage, Gerichtsstand, Arbeitnehmer, Abtretung, Prospekt, Anlageentscheidung, Bank, Fonds, Staatsanwaltschaft, Sittenwidrigkeit, Dienstleistungen, Zug um Zug, unerlaubte Handlung, juristische Person
Leitsatz (amtlich)
1. Art. 4 Abs. 1, 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO 1. Die Annahme des Sitzes der Hauptniederlassung im Sinne von Art. 63 Abs. 1 Brüssel Ia-VO setzt voraus, dass sich der Schwerpunkt des unternehmensexternen Geschäftsverkehrs an diesem Ort befindet.
2. Insoweit trägt das betroffene Unternehmen jedenfalls eine sekundäre Darlegungslast.
Normenkette
Brüssel Ia-VO Art. 4 Abs. 1, Art. 63 Abs. 1
Verfahrensgang
LG München (Urteil vom 21.01.2020; Aktenzeichen 40 O 4474/18) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts München I vom 21.01.2020, Az. 40 O 4474/18, aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf mehr als 30 Mio. EUR festgesetzt.
Gründe
Die eigens zu diesem Zweck gegründete Inkassogesellschaft klagt gegen die beklagte australische Bank mit weltweiten Niederlassungen im Zusammenhang mit sogen. "Cum-Ex-Geschäften" auf Schadensersatz.
Die an die Klägerin abgetretenen bzw. von dieser in Prozessstandschaft geltend gemachten Schadensersatzansprüche sollen sich daraus ergeben, dass die Zedenten bzw. Herr M. im Februar und März 2011 Aktien der nach dem Recht des Großherzogtums Luxemburg gegründeten S. S. S.-F. E. A. Fund (im folgenden: S. Fund) erworben haben. Die "Geschäftsidee" des S. Fonds bestand darin, dass ansonsten nach Behauptung der Klägerin vermögenslose US-Amerikanische Pensionsfonds jeweils über die Finanzierung des S. Fund kurz vor dem Dividendenstichtag (Tag der Hauptversammlung) Aktien mit Dividendenanspruch ("cum-Dividende") erwerben sollten, die nach dem Stichtag von einem Aktienverleiher ohne ("ex-Dividende") geliefert wurden. Die Pensionsfonds sollten in Höhe der ihnen nicht ausbezahlten Dividende eine Dividendenausgleichszahlung und eine Bescheinigung ihrer Depotbank über tatsächlich vom Verkäufer nicht abgeführte Kapitalertragssteuer erhalten. Anschließend sollten sie entsprechend dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und den USA als "Steuerinländer" die Erstattung der tatsächlich nicht entrichteten deutschen Kapitalertragssteuer beantragen.
Das geplante Eigenkapital des S. Fund betrug 250 Mio. EUR und war in eine "Tranche A" für Kunden der Schweizer Privatbank S. und C. AG und eine "Tranche B" für Kunden der O. S. AG aufgeteilt, die den Rechtsanwälten Dr. B. und Dr. S. gehörte. Den Zedenten wurde die Kapitalanlage mit einer prognostizierten Rendite von 10 bis 12% vorgestellt (Anlage K 5), zu ihrer Information wurde ihnen ein Prospekt zur Verfügung gestellt (Anlage K 4, Anhang 1).
Der Sheridan Fund benötigte zur Steigerung des Aktienvolumens einen Fremdkapitalgeber. Dazu waren Kredite in Höhe von mehreren Milliarden EUR erforderlich. Die Beklagte stellte dieses Fremdkapital zur Verfügung. Die Darlehensverträge wurden in London unterzeichnet. Die Pensionsfonds verpfändeten ihre Zielkonten an die Beklagte. Diese stellte den Aktienentleihern Brokergarantien zur Verfügung, die diese als Sicherheit für die kurzfristige Leihe des Aktienpaketes benötigten. Nach der Rücklieferung der Akten wurden die Garantien wieder frei und die Kontrakte saldiert. Die Pensionsfonds erhielten Steuerbescheinigungen, mit denen beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) Ansprüche auf Erstattung zuvor nicht einbehaltener und abgeführter Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag in einer Gesamthöhe von über 462 Mio. EUR geltend gemacht wurden. Das BZSt verweigerte jedoch Auszahlung.
Die Staatsanwaltschaft Köln führt u.a. gegen ehemalige Mitarbeiter der Beklagten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des schweren bandenmäßigen Betruges und der gewerbsmäßigen Steuerhinterziehung (Az.: 113 Js 952/13). Gegen die Beklagte wurde ein Verfahren nach §§ 30, 130 OWiG eingeleitet.
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, die Beklagte habe bei der Schädigung der Zedenten eine zentrale Rolle gespielt. Da diese mit Wissen der Beklagten nicht über die illegale Cum-Ex-Struktur des Anlagemodells informiert worden seien, stehe der Klägerin als Prozessstandschafterin bzw. aus abgetretenem Recht Schadensersatz gem. §§ 826, 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB zu. Für ihren Tatbeitrag habe die Beklagte mindestens 75 Mio. EUR vereinnahmt. Die sechs Pensionsfonds hätten falsche Steuerbescheinigungen erhalten sollen, mit denen beim BZSt Ansprüche auf tatsächlich nicht einbehaltene und abgeführte Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag in einer Gesamthöhe von über 462 Mio. EUR hätten vorgetäuscht werden sollen. Die Beklagte habe eine Niederlassung in M. unt...