Haftstrafe gegen den "Erfinder von Cum-Ex 2.0"
Der heute 72-Jährige habe "ganz erhebliche kriminelle Energie" gezeigt und das Geschäftsmodell "in eine neue Umlaufbahn geschossen", sagte der Vorsitzende Richter Roland Zickler am Dienstag bei der Urteilsverkündung (Az 62 KLs 2/20). "Sie sind nicht der Erfinder von Cum-Ex, aber Sie sind der Erfinder von Cum-Ex 2.0." Damit lag der Schuldspruch etwas unter der Forderung der Staatsanwaltschaft nach neun Jahren Haft. Das mögliche Höchstmaß hatte 15 Jahre betragen.
Steuerschaden von 276 Mio. EUR
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Berger könnte Rechtsmittel einlegen. Das werde sein Mandant prüfen, sagte der Verteidiger Richard Beyer nach Verfahrensende. In Relation zu den Feststellungen des Gerichts sei es ein Schuldspruch, "den man durchaus als schuld- und strafangemessen betrachten muss", sagte der Anwalt. Die drei Vergehen, die Berger im Zeitraum 2007 bis 2011 beging, verursachten dem Gericht zufolge einen Steuerschaden von 276 Mio. EUR.
Berger selbst bekam davon 13,7 Mio. EUR, die er zurückzahlen muss. Ein früherer Kanzleipartner, der mittlerweile mit ihm gebrochen hat und als Kronzeuge fungiert, muss den gleichen Betrag zahlen. 5 Mio. sind bereits geflossen, der Rest soll noch folgen.
Finanzamt erstattete nicht gezahlte Steuern
Berger ist der bekannteste Protagonist des Geschäftsmodells, das der BGH im Jahr 2021 als Straftat gewertet hat. Bei den Geschäften wurden Aktien mit ("cum") und ohne ("x") Ausschüttungsanspruch rund um den Dividendenstichtag verschoben. Das Finanzamt erstattete Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren. Es gibt unzählige weitere Beschuldigte; in den kommenden Jahren wird mit einer Cum-Ex-Verfahrenswelle an deutschen Gerichten gerechnet.
Berger kannte die Schwächen der Finanzverwaltung
Berger beriet Banken, Fonds und Investoren bei der Konstruktion der Geschäfte und warb reiche Kunden ein. "Sie waren an zentraler Stelle in dieses System eingebunden", sagte der Richter. Früher war Berger Beamter in der hessischen Steuerverwaltung, später wechselte er die Seiten und stellte den Finanzakteuren seine Kenntnisse des Steuerrechts zur Verfügung. Nach Ansicht des Gerichts kannte er dadurch die Schwächen der Finanzverwaltung und nutzte diese aus.
Geschäftsmodell verschleiert
Berger half den Angaben zufolge dabei, Kapital von Investoren einzuholen und dadurch hohe Kredite zu bekommen, wodurch mehr Geld für Cum-Ex-Deals zur Verfügung gestanden und sich der Steuerschaden erheblich erhöht habe. "Sie haben das Geschäftsmodell ganz bewusst verschleiernd in den Markt eingetragen, um die Profite, die sie haben wollten, nicht zu gefährden", sagte Zickler. "Hätten Sie irgendeinem gesagt 'Wir holen uns eine Steuer ab, die nicht gezahlt worden ist', wäre es sehr fraglich gewesen, ob die Investitionsbereitschaft da gewesen wäre."
Rechtssprechung falsch interpretiert
Der Vorsitzende Richter warf dem Angeklagten vor, die damalige Rechtssprechung falsch interpretiert zu haben. Tatsächlich habe es nie einen Rechtssatz gegeben, in dem stehe, dass eine nicht gezahlte Steuer angerechnet werden könne. Überliefert sei Bergers Reaktion im Jahr 2005, als er um ein Gutachten für ein Cum-Ex-Geschäft gebeten worden und dadurch erstmals mit den Deals in Kontakt gekommen sei. Berger habe spontan reagiert mit "Das kann doch gar nicht sein!"», sagte Zickler.
"Ja genau", sagte der Richter, "da hatten Sie recht: Das kann nicht sein - und dabei wären Sie am besten geblieben." Danach habe Berger eine "Vernebelung" in Gang gesetzt, um Profite aus Cum-Ex zu ziehen. Berger habe als Berater zwar nicht selbst Steuererklärungen gemacht. Aber das Handeln der Personen, die das taten, sei ihm zuzurechnen.
Berger handelte vorsätzlich
In dem Bonner Verfahren ging es um die Zusammenarbeit von Berger mit der Hamburger Privatbank M.M. Warburg und später mit zwei Investmentfonds. Aus Sicht des Richters handelte Berger nicht mit "normalem Vorsatz, wo man weiß, was man tut", sondern nur mit "Eventualvorsatz". Hierbei halten Menschen es für möglich, dass ihre Handlungen illegal sind, nehmen dies in Kauf und machen trotzdem weiter.
Richter: "Warum schütteln Sie denn den Kopf?"
Während der gut einstündigen Urteilsverlesung saß Berger in sich versunken und mit gesenktem Blick vor dem Richter, der 72-Jährige schüttelte immer wieder den Kopf. "Warum schütteln Sie denn den Kopf?", fragte der Richter und wertete diese Gestik als Widerspruch zu den Ausführungen im Urteil. Mit Blick auf eine im Sommer erfolgte Einlassung Bergers, die das Gericht als Teilgeständnis mit begrenzter Wirkung wertete, sagte Zickler: "Wir haben große Zweifel, ob dieses Geständnis von Unrechtseinsicht und Reue gezeichnet ist."
Der Angeklagte sei in seinem Leben sehr auf sich selbst bezogen und letztlich unfähig gewesen, anderen richtig zuzuhören und Ratschlag von außen anzunehmen. "Man kann das starrsinnig nennen, man kann das pointierte Persönlichkeit nennen."
Der bekannteste Protagonist des größten Steuerskandals der Bundesrepublik wird auch künftig noch einen Gerichtssaal von innen sehen müssen. Denn in Wiesbaden läuft noch ein paralleles Verfahren gegen ihn wegen anderer Cum-Ex-Vergehen.
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