Leitsatz (amtlich)

1. Ein Hauptversammlungsbeschluss, mit dem nach § 147 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG die Geltendmachung von Ersatzansprüchen beschlossen und zu diesem Zweck ein besonderer Vertreter bestellt wird, ist nicht deshalb rechtsmissbräuchlich, weil über Ersatzansprüche gegen verschiedene wegen desselben Sachverhalts in Betracht kommende Anspruchsgegner in einem Abstimmungsvorgang entschieden wird und jeder betroffene Aktionär damit nach § 136 Abs. 1 Satz 1 AktG auch bei der Entscheidung über die Erhebung von Ansprüche gegen die anderen Anspruchsgegner von der Abstimmung ausgeschlossen ist.

2. Ein solcher Beschluss kann auch konzernrechtliche Ansprüche nach §§ 317, 318 AktG umfassen. Hingegen kann nicht wirksam die Geltendmachung nicht näher bezeichneter Ansprüche gegen die mit einem Großaktionär verbundenen Unternehmen beschlossen werden.

3. Ein Beschluss nach § 147 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AktG muss die die Ansprüche begründenden Sachverhalte hinreichend konkret bezeichnen. Der besondere Vertreter ist grundsätzlich verpflichtet, die aus diesen Sachverhalten resultierenden Ersatzansprüche geltend zu machen; dies schließt es aber nicht aus, dass die Hauptversammlung ihn auch mit der Prüfung beauftragt, gegen welche von mehreren möglichen Anspruchsgegnern eine Rechtsverfolgung Erfolg verspricht.

4. In entsprechender Anwendung des § 139 BGB hat die Nichtigkeit von Teilen des Beschlusses nicht die Nichtigkeit des ganzen Beschlusses zur Folge, wenn aufgrund der Auslegung des Beschlusses davon auszugehen ist, dass die Hauptversammlung, hätte sie die Nichtigkeit der betreffenden Teile erkannt, am Beschluss im Übrigen festgehalten hätte.

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 04.10.2007; Aktenzeichen 5 HKO 12615/07)

 

Nachgehend

BGH (Beschluss vom 27.09.2011; Aktenzeichen II ZR 225/08)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG München I vom 4.10.2007 wie folgt abgeändert:

Der in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 26./27.6.2007 unter Tagesordnungspunkt 10 gefasste Beschluss über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen sowie Bestellung eines besonderen Vertreters wird, soweit er unter Nr. 1., erster Absatz, die Wörter "sowie mit dieser i.S.v. §§ 15 ff. AktG verbundene Unternehmen" enthält und in Nr. 1 Buchst d) für nichtig erklärt.

II. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und bleibt die Klage abgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 2/3 und die Beklagte und deren Streithelfer zu gleichen Teilen 1/3. Die Klägerin trägt ferner jeweils 2/3 der außergerichtlichen Kosten der Nebenintervenienten; im Übrigen tragen die Nebenintervenienten ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beide Parteien und die Nebenintervenienten können die Vollstreckung der jeweiligen Gegenseite durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines Beschlusses der Hauptversammlung der Beklagten vom 26./27.6.2007.

I. Die Klägerin, hat am 12.6.2005 mit der Beklagten eine als Business Combination Agreement (im Folgenden: BCA) bezeichnete Vereinbarung über ihre künftige Zusammenarbeit getroffen. Am 12.9.2006 haben die Parteien ferner einen Vertrag über die Veräußerung der von der Beklagten gehaltenen Aktien an der Bank Austria Creditanstalt AG (im Folgenden: BACA) zu einem Kaufpreis von 12,5 Mrd. EUR abgeschlossen. Dieser Vertrag wurde der Hauptversammlung der Beklagten am 25.10.2006 zur Zustimmung vorgelegt und nach einem mehrheitlich zustimmenden Beschluss im Januar 2007 dinglich vollzogen. Gegen diesen Beschluss wurden Anfechtungsklagen erhoben, die derzeit im Berufungsverfahren bei dem erkennenden Senat anhängig sind.

In der Hauptversammlung der Beklagten vom 26./27.6.2007 wurde ein Antrag auf Sonderprüfung der Vorgänge im Zusammenhang mit der Veräußerung der Anteile an der BACA und dem Abschluss des BCA mit den Stimmen der Klägerin, welche zusammen mit einer von ihr abhängigen Gesellschaft ca. 95 % der Aktien der Beklagen hielt, abgelehnt. Unter Tagesordnungspunkt 10 wurde jedoch folgender Beschluss gefasst, wobei die Klägerin im Hinblick auf das Stimmverbot des § 136 Abs. 1 Satz 3 AktG nicht mit abstimmte:

1. Die Hauptversammlung möge unabhängig vom Ausgang der nach TOP 9 beantragten Sonderprüfung gem. § 147 Abs. 1 Satz 1 AktG die Geltendmachung von Ersatzansprüchen der Gesellschaft aus der Geschäftsführung beschließen, und zwar insbesondere Schadensersatzansprüche gem. §§ 93 Abs. 2 und 3, § 116, § 117, § 317 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 318 Abs. 1 und 2 AktG gegen die gegenwärtigen und ehemaligen Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats der H. sowie gegen die Großaktionärin U. S. p. A. sowie mit dieser i.S.v. § 15 ff. AktG verbundenen Unternehmen, jeweils einschließlich der gesetzlichen Vertreter, insbesondere die fo...

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