Leitsatz (amtlich)
Wird vor Einstellung der Zwangsvollstreckung dem Gegner eine unangemessen kurze Frist (hier: zwei Tage) zur Stellungnahme belassen und auch ein gestellter Antrag auf Fristverlängerung nicht beachtet, ist dies eine krasse Missachtung des verfassungsrechtlich verbrieften Anspruchs auf rechtliches Gehör mit der Folge, dass wegen dieses Verstoßes nur eine Aufhebung und Zurückverweisung des angefochtenen Beschlusses zur erneuten Entscheidung in Betracht kommt.
Verfahrensgang
AG Dessau (Aktenzeichen 3 F 37/02) |
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des AG – FamG – Dessau vom 31.1.2002 – 3 F 37/02, aufgehoben.
Das Verfahren wird zur erneuten Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das AG – FamG – Dessau zurückverwiesen.
Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Der Beschwerdewert wird auf 450,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Beklagte wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die in Anwendung von § 769 ZPO erfolgte teilweise einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung aus der Urkunde des Jugendamtes Dessau vom 13.10.1998 (Bl. 10 d.A.) durch Beschluss des AG Dessau vom 31.1.2002 (Bl. 29 – 31 d.A.), wobei der Kläger zwischenzeitlich von der zunächst erhobenen Vollstreckungsabwehrklage gem. § 767 ZPO Abstand genommen hat und nunmehr im Wege der Klageänderung die Abänderung der vorbezeichneten Unterhaltstitel gem. § 323 ZPO verlangt (Bl. 54 d.A.).
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist ausnahmsweise statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§§ 323, 793 Abs. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, 569 ZPO). In der Sache selbst führt sie zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senates und der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. die Darstellung des Meinungsstandes bei Herget in Zöller, ZPO, 23. Aufl., § 769 Rz. 13 mit zahlreichen Nachweisen) ist gegen eine Entscheidung nach § 769 ZPO grundsätzlich ein Rechtsmittel nicht statthaft, wie sich aus der gebotenen analogen Anwendung des § 707 Abs. 2 S. 2 ZPO ergibt (ebenso OLG Naumburg, Beschl. v. 27.6.2001 – 1 W 26/01).
Allerdings gilt dies ausnahmsweise dann nicht, wenn Anhaltspunkte für eine greifbare Gesetzeswidrigkeit die Statthaftigkeit des Rechtsmittels begründen.
Dies ist hier der Fall. Denn der Einstellungsbeschluss des AG ist unter Missachtung des verfassungsrechtlich verbrieften Anspruchs des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs gem. Art. 103 Abs. 1 GG ergangen.
Gemäß § 769 Abs. 3 ZPO ergeht die Entscheidung über einen Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung durch Beschluss, der grundsätzlich ohne mündliche Verhandlung ergehen kann (§ 769 Abs. 3 ZPO i.V.m. § 128 Abs. 4 ZPO). Dem Antragsgegner ist jedoch dann vor Erlass der Entscheidung rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG zu gewähren, falls der Antrag auf Einstellung der Zwangsvollstreckung nicht sofort zurückgewiesen wird (Herget, ZPO, 23. Aufl., § 769 Rz. 6).
Das AG hat am 25.1.2002 (Bl. 23 d.A.) dem Beklagten Gelegenheit zur Stellungnahme bezüglich der beantragten einstweiligen Anordnung bis zum 30.1.2002 eingeräumt. Gleichwohl reichte diese unter Berücksichtigung der Eilbedürftigkeit der Sache an sich hinlänglich bemessene Frist hier ausnahmsweise nicht.
Denn die Verfügung wurde an einem Freitag erlassen und gelangte zwar noch am selben Tag zur Kanzlei, wurde jedoch – was in Anbetracht des bevorstehenden Wochenendes absehbar war – erst am Montag, dem 28.1.2002, ausgeführt, sodass die Zustellung an den Beklagten erst am 29.1.2002 erfolgte (Bl. 28 d.A.). Danach standen aber dem minderjährigen, durch seine Mutter vertretenen Beklagten nicht einmal zwei volle Tage zur Verfügung, um auf den detaillierten Vortrag des anwaltlich vertretenen Klägers zu erwidern. Rechtliches Gehör nach Maßgabe des Art. 103 Abs. 1 GG erfordert indes, dem Gegner eine angemessene und zumutbare Frist zur Stellungnahme zu setzen (Hartmann in Baumbach/Lauterbach Abers/Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 128 Rz. 13). Diesen Anforderungen genügt die vom AG gesetzte Frist zur Stellungnahme nicht.
Unverständlicherweise ist auch der am 30.1.2002 beim AG eingegangene Antrag des Prozessbevollmächtigten des Beklagten, die Frist zur Stellungnahme bis zum 1.2.2002 zu verlängern (Bl. 25 d.A.), nicht beachtet worden.
Nach alledem ist der Beklagte mangels ausreichend bemessener Frist zur Stellungnahme in seinem elementaren Verfahrensgrundrecht auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt worden. Damit liegt ein grober Verfahrensfehler und zugleich eine greifbare Gesetzeswidrigkeit vor, die, da der Senat sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Prozessgerichtes setzen darf, dazu führt, dass die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG zurückzuverweisen war. Bei der neuerlich zu treffenden Entscheidung wird das AG den geänderten Klageantrag vom 19.2.2002 (Bl. 54 d.A.) zu berücksichtigen ...