Verfahrensgang
LG Halle (Saale) (Urteil vom 19.11.2020; Aktenzeichen 5 O 90/20) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 19.11.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Halle - 5 O 90/20 - abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.885,71 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.04.2020, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs ... (FIN: ...) zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 15 % und die Beklagte 85 %. Die Kosten des Berufungsverfahren trägt die Beklagte.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien können die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Gründe
I. Der Kläger macht gegen die Beklagte Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal geltend.
Am 10.10.2017 erwarb der Kläger bei der Autohaus L. GmbH einen von der Beklagten hergestellten, gebrauchten (Datum der Erstzulassung: 04.09.2015) ... mit einer Gesamtfahrleistung von 17.450 km zu einem Bruttokaufpreis i.H.v. 21.750,00 EUR.
Die Beklagte musste gem. Art. 4 VO (EG) Nr. 715/2007 nachweisen, dass die von ihr hergestellten Neufahrzeuge über eine Typgenehmigung gemäß der VO verfügen. Eine solche setzt voraus, dass die in der VO vorgesehenen Abgasgrenzwerte eingehalten werden. Die Werte werden gem. der zugehörigen Durchführungsverordnung im Rahmen der Prüfung Typ 1 auf dem Teststand im "Neuen Europäischen Fahrzyklus" (NEFZ) ermittelt, welcher über eine Gesamtdauer von ca. 20 Minuten (1180 s), aufgeteilt in eine Innerortsfahrt und eine Außerortsfahrt mit kurzem Autobahnteil, auf dem Rollenprüfstand eine Geradeausfahrt von ca. 11 km Länge auf ebener Strecke bei moderater Beschleunigung, einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 33,6 km/h und einer kurzzeitigen Maximalgeschwindigkeit von 120 km/h simuliert. Das Testfahrzeug wird vorkonditioniert, indem dreimal der AußerortsZyklus des NEFZ (Teil 2) auf dem Rollenprüfstand gefahren wurde. Anschließend wird das Fahrzeug für mindestens 6, längstens 36 Stunden bei 20 bis 30° Umgebungstemperatur abgestellt. Mit dem so vorkonditionierten Fahrzeug wird die Abgasprüfung auf dem Rollenprüfstand bei einer Umgebungstemperatur zwischen 20 und 30° unter definierten Bedingungen für die Luftfeuchtigkeit und den Luftdruck durchgeführt. Beim Testlauf wird ein kompletter NEFZ gefahren, wobei der gesamte Abgasstrom erfasst und u.a. der Gehalt der Komponenten CO2, CO, HC, NOx bestimmt wurde, welche dann als Massenemission pro Kilometer (mg/km) angegeben werden (vgl. S. 9 f der Anlage B 1).
Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Motor des Typs EA 2... EU 6 ausgestattet und verfügt über einen NOx-Speicherkatalysator (NSK), welcher im Fahrbetrieb regelmäßig "regeneriert", d.h. unter Aufspaltung der eingelagerten Stickoxide (NOx) in deren Komponenten Stickstoff (N2) und Kohlendioxid (CO2) geleert wird, wobei sich jede NSK-Regeneration ("DeNOx-Event") auf die CO2- und Schadstoffemissionen auswirkt. Eine weitere Regeneration gibt es für die Entschwefelung ("DeSox"). Im Straßenbetrieb erfolgt die NSK-Regeneration in bestimmten Streckenintervallen (ca. alle 5 km) oder wenn der NSK voll "beladen" ist, je nachdem, welches Ereignis zuerst eintritt. In dem Fahrzeug ist eine Software verbaut, welche mittels einer sog. "Fahrkurvenerkennung" (auch "Zykluserkennung" genannt), die Vorkonditionierung ("Precon") für die Messung auf dem Teststand im NEFZ erkennt. Die Motorsoftware stellt dann sicher, dass am Ende der Vorkonditionierung eine Regeneration des NSK erfolgt, sodass dieser zu Beginn der anschließenden Messung fast leer ist (vgl. Bl. 77, 85 f II d.A.). Dementsprechend wird in einem mit "Applikationsanweisung Diesel Fahrkurven EA2... NSK" überschriebenen und dem Vermerk: "PRIVILEGED & CONFIDENTIAL" versehenen internen Dokument der Beklagten vom 18.11.2015 unter "Anwendungsbeschreibung" die bis dahin erfolgte ("bisherige") Bedatung des NSK wie folgt beschrieben: "NSK: Bedatung, Aktivierung und Nutzung der Fahrkurven zum Erkennen des Precon und des NEFZ, um die Abgasnachbehandlungsevents (DeNOx-/ DeSOx-Events) nur streckengesteuert zu platzieren. Im normalen Fahrbetrieb strecken- und beladungsgesteuerte Platzierung der Events; Beladungssteuerung als führende Größe" (Bl. 84 II d.A.). Des Weiteren geht aus dem vorgenannten internen Dokument hervor, dass für alle Fahrzeuge mit einem Produktionsstart ab der 22. Kalenderwoche des Jahres 2016 "die Fahrkurven aus der Software entfernt" werden sollten; stattdessen sollten "Umschaltungen oder die Platzierung von Abgasnachbehandlungsevents ... auf Basis physikalischer Randbedingungen unter Einhaltung der gesetzlichen Vorg...